: Das Flachland lebt
Das Theaterfestival der niedersächsischen Lottostiftung beweist: Provinz macht kreativ
aus Hannover Daniela Barth
Am vergangenen Wochenende wurden die Spielstätten ballhofeins und ballhofzwei des Staatstheaters Hannover defloriert: Erstmals in der Geschichte der Institution tummelte sich hier die niedersächsische Freie Theaterszene auf den Bühnen. Und der Innovation nicht genug: Es handelte sich dabei um das erste eigene Theaterfestival der Niedersächsischen Lottostiftung, das an die Vergabe des mit 20.000 Euro dotierten Preises für Freie Theater 2003 gekoppelt war.
Gewonnen hat den die Gruppe „Das letzte Kleinod“ aus dem Dörfchen Geestenseth für ihre halbdokumentarische, deutsch-spanische Produktion „Morrina“. Ihr Thema: Das Leben galizischer Gastarbeiterinnen an der Nordseeküste. Ursprünglich für eine stillgelegte Fischfabrik in Cuxhaven konzipiert, gelang es dem Ensemble, die intelligente Montage auf eine herkömmliche Theaterbühne zu übertragen. Ohne nennenswerte Reibungsverluste – wie die fünfköpfige Hauptjury aus Fachjournalisten, Theaterwissenschaftlern und Dramaturgen befand. Weiter lobt die Begründung, dass das Stück, „obwohl der Dokumentation verpflichtet, eine 1:1-Übertragung vermieden“ habe.
In der Tat hat die tänzerisch-poetische Bildersprache der Geestensether Frauentruppe wenig zu tun mit der einer gewöhnlichen Stadt- oder auch Staatstheater-Aufführung. Was aber auch für die übrigen für dieses Mini-Festival ausgewählten Produktionen in Anschlag gebracht werden kann: Es zu etablieren sei durch den Ausfall der diesjährigen Arena-Festspiele notwendig gewesen, erklärt Reinhard Scheibe. Er halte es für „außerordentlich wichtig“, so der Vorstandsvorsitzende der Lottostiftung weiter, „den Freien Gruppen das Podium eines speziellen Theaterfestivals in der Landeshauptstadt zu bieten“.
Gezeigt wurden auf dieser Plattform allerdings nur die von einer Vorjury für den Theaterpreis nominierten sechs: Beworben hatten sich immerhin 24 Gruppen – die niedersächsische Freie Theaterszene ist verzweigt bis hinein in die tiefste Provinz. Und die Sparmaßnahmen, die auch der Landesarbeitsgemeinschaft Freier Theater drohen (siehe nebenstehender Beitrag), trugen das ihrige dazu bei, den üppig dotierten Preis noch attraktiver zu machen.
Dass trotz Vorauswahl eine erstaunliche Bandbreite auf den Ballhof-Bühnen zu erleben war, liegt daran, dass bei der Ausschreibung auf eine thematische Vorgabe bewusst verzichtet worden war. Kriterien seien eher schauspielerische Qualität und Handwerk gewesen.So präsentierte sich das Theater Metronom aus Visselhövede mit „Coriolan“ in der Textfassung der Däninnen Vigga Bro und Lene Veestergard, die sich an Shakespeare und Plutarch orientieren.
Damit übrigens wagten sich die Theatermacher aus der 16-Seelen-Gemeinde am weitesten hinaus über die unsichtbaren Grenzen freier – so genannter experimenteller – Theaterästhetik. Es gehört schon eine Portion Mut dazu, zwei Schauspielerinnen (Karin Schroeder und die erst 23-jährige Katinka Mache) ernsthaft in über ein Dutzend Shakespeare-Rollen schlüpfen und eine dramaturgisch zusammenhängende Geschichte erzählen zu lassen ohne den billigen Ausweg, der da „trash“ heißt zu benutzen. Ganz anders hingegen das Hannoveraner „Theater fensterzurstadt“ mit „Rokk the Busch“, einem ekstatischen schwarzhumorigen Kammerspektakel, in dem Musical, Slapstik, Tanz und Wortakrobatik Wilhelm-Busch-Figuren zum Leben erwecken – beziehungsweise zu Grabe tragen.