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Archiv-Artikel

Augen zu und durch!

Jedes vierte Kind zwischen 2 und 14 Jahren hat einen Fernseher. Die Initiative „Schau hin!“ soll Eltern an ihre Verantwortung erinnern

von SILVIA HELBIG

In der Fernsehwerbung schaut sich ein Pärchen Familienfotos an. Ach, was für schöne Erinnerungen! „Manche Bilder bleiben ein Leben lang“, fachsimpelt die Off-Stimme. Die Kamera schwenkt ins Kinderzimmer, wo der Kurze mit großen ängstlichen Augen fernsieht. Entsetzen steht ihm ins Gesicht geschrieben. Manche Bilder bleiben ein Leben lang. „Schau hin, was deine Kinder machen!“, will der neue Werbespot die Eltern wachrütteln. Er kommt aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Zusammenarbeit mit Hörzu, ARD, ZDF, Arcor und Intel.

Die Initiative „Schau hin“ ist die erste Aktion nach dem Amoklauf von Erfurt und dem daraufhin von der Bundesregierung gegründetem runden Tisch „Medien gegen Gewalt“, die man öffentlich wahrnimmt. Die Eltern sollen es also richten. Ihre Medienkompetenz soll mit der Aktion gestärkt werden. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt setzt in Richtung Eltern noch eins drauf: „Einem drei- oder vierjährigen Kind einen Fernseher ins Zimmer zu stellen, ist Körperverletzung.“ Da ist was dran. Doch dürften verantwortungslose Erziehungsberechtigte nur ein Teil des Problems sein, dass Gewaltdarstellungen in den Medien Schäden hinterlassen können oder Jugendliche zu realer Gewalt animieren.

Das Erbe von Erfurt

Was hat sich seit Erfurt noch getan? Vom Normalbürger wahrscheinlich weniger beachtet, hat die Bundesregierung den gesetzlichen Jugendschutz verschärft. Mit dem In-Kraft-Treten des neuen Jugendschutzgesetzes und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags am 1. April dieses Jahres hat sie ihre Aufgaben als Gesetzgeber scheinbar erfüllt. Nach dem Amoklauf vom 26. April letzten Jahres in einem Erfurter Gymnasium, bei dem 16 Menschen getötet wurden, hatte die Politik schnell reagiert und die Gesetze noch in der auslaufenden Legislaturperiode geändert.

Doch wer den Fernseher einschaltet, sieht: Konkrete Veränderungen gibt es bisher kaum. Schießereien, Tote und Vergewaltigte auf allen Sendern. Dazwischen mal ein Werbespot der „Schau hin!“-Kampagne. Diese soll wettmachen, was der gesetzliche Jugendschutz vielleicht auch gar nicht leisten kann: die Gewaltdarstellung in den Medien tatsächlich zu reduzieren, ohne zu zensieren.

Nix Schlimmes!

Deshalb sollen die Eltern nun aufpassen, dass ihre Kinder erst gar nichts Schlimmes zu sehen bekommen. Eine sehr einseitige Maßnahme, wie Klaus Hinz, der Geschäftsführer der Aktion Kinder- und Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Brandenburg, kritisiert. Er hätte das Geld für die „Schau hin!“-Kampagne lieber vor Ort in den Kitas und Schulen gesehen: „Wichtiger als die Wachsamkeit der Eltern ist, dass schon die Kleinen pädagogisch auf die Massenmediengesellschaft vorbereitet werden“, meint Herr Hinz. „Gerade werden die Bildungspläne für die Kitas in Berlin und Brandenburg erstellt. Ohne medienbegleitende Ansätze zu berücksichtigen.“

Dass man an die Kinder selbst herangehen muss, sieht auch die „Schau hin!“-Initiative ein. Deshalb hatte sie Anfang des Jahres an der Berliner Fritz-Karsen-Gesamtschule eine Eltern-Kind-Medienwerkstatt initiiert. Das Modellprojekt sollte mit exemplarischer Wirkung für weitere Schulen erforschen, wie Eltern und Kinder über Medien reden: In einer Projektwoche sollten die Schüler der 9. Klasse die Fünftklässler zu ihrem Mediennutzungsverhalten befragen. Die Schüler der 11. Klasse sollten das medial dokumentieren. Außerdem wollten die Schüler den Eltern zeigen, wie man den letzten Schrei an technischen Erfindungen überhaupt bedient.

Die Partner von „Schau hin!“ kippten das Konzept und lotsten im Juni stattdessen die Schüler ins ARD-Hauptstadtstudio und in die bild.de-Redaktion. Hier durften die Kinder Fragen an die Medienmacher stellen und hinter die Kulissen blinzeln. Dabei wurden sie öffentlichkeitswirksam von Journalisten begleitet, die über die Kampagne berichteten. Schulleiter Lothar Sack zeigt sich mit dieser Art der medienpädagogischen Arbeit unzufrieden: „Normalerweise ist es schwer, in solche Redaktionen reinzukommen, deshalb haben wir mitgemacht. Für die Praxis bringt das Projekt jedoch nichts. Welche Journalisten haben schon Lust, dass jeden Tag Schulklassen bei der Arbeit stören?“

Lästiges Thema?

Wie die Ergebnisse des Projekts in anderen Schulen angewendet werden sollen, werde man „nach der kompletten Auswertung des Projekts Ende November kommunizieren“, erklärt die Pressesprecherin von „Schau hin!“ Das Lehrerkollegium um Schulleiter Sack will versuchen, das Konzept der jährlichen Medien-Projektwoche trotzdem noch umzusetzen. Nachhaltigkeit und den Bezug zur aktuellen Lebenssituation sehen sie als wichtigste Voraussetzung, um die Kinder und Jugendlichen im Umgang mit Gewalt in den Medien zu schulen. Auch wenn „Schau hin!“ diese beiden Faktoren scheinbar übersehen hat.