piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich mach da einfach nicht mit“

Bernd P., 43, macht einfach nicht mit. Er wohnt im letzten Haus an der Dorfstraße. Er sitzt in seiner Küche, die Uhr an der Wand tickt. Bernd P. zündet sich eine Zigarette an:

„Wie kann man sich Klingeltöne runterladen für fünf Euro? Da mach’ ich nicht mit. Ich hab kein Handy und mein Videorekorder ist kaputt. Ich hab mir eine kleine Insel gebaut mittendrin. Legal geht das nicht. Sobald das Legale reinkommt, schafft man es nicht. Man muss Gebühren bezahlen, Steuern. Der Staat kassiert, um den Apparat am Leben zu halten. Warum soll ich da mitmachen?

Da kommen Leute zu mir, die wollen keine Rechnung haben. Die wollen den Staat rauslassen. So wie ich. Und da bau’ ich dann ein paar Kleinigkeiten hin. Davon leb’ ich. Dann hab ich einen kleinen Garten, ein paar Kartoffeln. Verantwortung hab ich nur für meinen Hund.

Ich brauche meine Freiheit. Schon bei der Armee wurde immer diktiert, was du zu tun hast, bei den Eltern. Ich wollte weg davon. In Eisenhüttenstadt waren wir Jugendlichen viel in den Wäldern, haben Feuer gemacht und philosophiert, was man am Staat ändern könnte. Irgendwann hab ich gemerkt, das ist alles Geschwafel.

Nach der Wende sind ja alle dem Geld nachgelaufen, in den Westen. Ich bin geblieben. Als Anlagenfahrer in einem Heizkraftwerk in Leipzig. Ich konnte Bücher lesen und Fernsehgucken. Die Firma hat dann modernisiert. Von dem Arbeitslosengeld konntest du auch gut leben.

Dann hab ich Leute kennen gelernt, die hatten ein verfallenes Haus hier im Dorf. Das wollten wir als Kommune klarmachen. Mit Windkraftwerk. Es sind viele Gespräche gewesen, aber es blieb immer beim Weintrinken. Ich bin dann wirklich hierher gezogen.

Meine Ehe ist irgendwann zerbrochen. Danach hab ich mich selbstständig gemacht mit einem Kumpel als Hausmeisterservice. Mit dem Kumpel ging auch was daneben. Das Alleinearbeiten hab ich dann seelisch nicht verkraftet. Ich konnte nicht mehr pennen. Dann bin ich zur Sozialhilfe. Da konnte ich Luft holen.

Ich hab mir hier im Haus einen Backofen gebaut, eine Sauna. Es ging wieder bergauf. Ich hatte Frauengeschichten, Alkoholexzesse und so. Das war auch nicht das Richtige. Im Februar haben sie mir die Sozialhilfe weggehauen. Ich habe 2.000 Quadratmeter Land hier. Die soll ich verkaufen und von erst mal von diesem Geld leben, hat das Amt gesagt.

Jetzt mache ich mein eigenes Ding. Statt auf Montagsdemos zu gehen, sitze ich in der Natur und hör zu. Das ständige Engagieren, das zerfetzt dich. Ich hab Gott. Das ist mein Chef.

Aber was die da jetzt für Gesetze zusammenfummeln! Hartz IV wird für manche ziemlich herb werden. Die gehen an die Kindersparbücher ran. Der Staat hier ist runter, der ist pleite. Bloß die sagen das nicht.

Es gibt Leute, die Stütze kriegen und nichts dafür tun. Dass man davon wegkommt, ist okay. Ja klar – ich hab’s ja auch so gemacht. Aber trotzdem. Die Leute werden jetzt zusammenrücken, denke ich. Wie zu Honecker-Zeiten. Da haben sie noch zusammen Fernsehen geguckt.“ AUFGEZEICHNET VON KIRSTEN KÜPPERS

Ulrike, 40, ist Segellehrerin. Im Sommer gibt sie Kurse, im Winter nimmt sie Arbeitslosengeld – und engagiert sich ehrenamtlich. Dank Hartz IV ist das passé:

„Seit drei Jahren bin ich jeden Sommer bei einer Segelschule in einer kleinen Hafenstadt an der Ostsee angestellt. Mein Stundenlohn beträgt etwa 8,50 Euro netto. Weil ich relativ bescheiden lebe – ich besitze kein Auto und wohne günstig in einer Frauen-Lesben-WG in einem selbst verwalteten Haus – konnte ich im Sommer sogar ein bisschen Geld zurücklegen. Davon habe ich dann wenigstens eine Zeit lang im Winter gezehrt.

Segellehrerin ist nun mal ein typischer Saisonjob. Ich unterrichte von April bis September. Im Herbst beziehe ich drei Monate Arbeitslosengeld, danach Arbeitslosenhilfe. Oder ich suche mir einen Minijob. Bisher lief das gut so.

In Zukunft ist das aber nicht mehr möglich. Dank Hartz IV führt diese Saisonarbeit nämlich nicht mehr automatisch zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ich werde mir für den Winter eine Arbeit suchen müssen. Und die muss sozialversicherungspflichtig sein oder mindestens so viel Geld bringen, dass ich mich selbst versichern kann.

Das finde ich schade. Denn nächstes Jahr werde ich kaum Zeit mehr finden, mich ehrenamtlich zu betätigen. Bislang habe ich jeden Winter beim Lesbentelefon in meiner Heimatstadt Frauen im Coming-out beraten. Außerdem engagiere ich mich in einer Initiative für ein ‚Soziales Zentrum‘ und bin in einem linksautonomen Jugendzentrum gegen Sexismus und Rassismus aktiv.

Wegen dieser ehrenamtlichen Geschichten hatte ich auch nie ein schlechtes Gewissen, nebenher Arbeitslosengeld oder -hilfe zu beziehen. Würde man diese Stunden nämlich entlohnen, entspräche das in etwa der Arbeitslosenhilfe. Diese Rechnung finde ich legitim, schließlich handelt es sich um wichtige Arbeit für die Gesellschaft – nur dass sie eben nicht bezahlt wird.

Das ist es auch, was mich an Hartz IV so stört: Das Gesetz geht davon aus, die Menschen wollten nicht arbeiten. Ich selbst habe null Interesse, das ganze Jahr über 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Aber Tatsache ist doch, dass es immer weniger Jobs gibt. Alle Politiker hängen am Ideal der Vollbeschäftigung. Das ist absurd.

Statt aber neue sinnvolle Beschäftigungen für die arbeitslosen Massen zu finden, wird der staatliche Druck auf die Betroffenen erhöht. Wer nicht jede Zwangsbeschäftigung machen will – und nichts anderes sind die Ein-Euro-Jobs –, wird bestraft und fliegt im schlimmsten Fall aus der Sozialversicherung raus. Hartz IV ist zudem staatliches Lohndumping. Darum werde ich auf keinen Fall jeden Job annehmen – lieber melde ich mich ab. Aber ich habe gut reden, ich gehöre zur Erbengeneration. Das gibt mir ein sicheres Gefühl. Irgendwas wird sich schon finden. Zur Not bleibt noch die Familie.“ AUFGEZEICHNET VON INES KURSCHAT

Für Stefan, 32, ist Hartz IV so etwas wie ein Rauswurf aus Hotel Mama. Wer regelmäßig fernsieht oder ins Theater geht, könnte ihn kennen. Er arbeitet als Schauspieler in München:

„Ich hatte eine Festanstellung am Theater, aber seit zwei Jahren arbeite ich frei. Ich wollte es selbst. Jeder freie Schauspieler macht es so, dass er sich arbeitslos meldet, wenn er kein Engagement hat. Das geht gar nicht anders: Engagements werden fast immer über Lohnsteuerkarte abgerechnet, selbst wenn es nur um einen Drehtag geht. So gesehen besteht mein Job aus einer Folge von Anstellungen – leider mit Lücken.

Ich schicke dem Arbeitsamt jeden Monat ein Fax oder eine E-Mail, darin steht, an welchen Tagen ich gearbeitet habe – ein blödes Konstrukt, aber alternativlos. Allerdings ist mein Zeitkontingent langsam aufgebraucht, also bekomme ich bald kein Arbeitslosengeld mehr. Ich käme weder für Hartz IV noch für Arbeitslosenhilfe in Frage, weil mein Vermögen etwas zu groß ist. Ich habe mal eine kleine Erbschaft gemacht, besitze eine halbe Wohnung und ein paar Aktien.

Ich weiß deshalb nicht, wie es weitergeht. Das Leben in München ist sehr teuer, und ich habe ein Kind, ein zweites ist unterwegs. Ich habe mich noch gar nicht erkundigt, was dabei herauskäme, wenn ich doch bei Hartz IV lande. Allein das Ausfüllen dieser Formulare hat etwas, na ja, Entwürdigendes. Das soll natürlich abschrecken.

Aber, so komisch es vielleicht für andere klingt: Ich freue mich über Hartz IV. Weil es sich im positiven Sinne so anfühlt, wie vom Ernährer rausgeworfen zu werden. Endlich. Es ist mir klar, dass es in Ostdeutschland eine ganz andere Situation ist. Aber wer in München lebt, wo es genug Arbeit gibt, wer Anfang 30 ist und gesund, für den ist Hartz IV eher wie ein Rauswurf aus Hotel Mama.

Für mich ist es ein letzter Weckruf: Wie bisher kann es nicht weitergehen. Man wurde auf schlechtem Niveau ernährt. Das hieß bei mir: Ich habe mein Sümmchen vom Arbeitsamt bekommen, dazu selbst verdient und das kleine Vermögen im Rücken gehabt. Es ist eine Art Verfettung, die dann einsetzt. Man ist nicht zufrieden, aber man wird bequem.

Jetzt kann ich mich nicht mehr wegducken, jetzt muss ich selbst aktiv werden. Das ist auch ein Vorteil von Hartz IV: Man muss sich nicht dauernd selbst motivieren, man ist dazu gezwungen – auch dazu, mal etwas zu arbeiten, was einem nicht so gefällt. Ich würde jedenfalls eher ins Call-Center oder Kellnern gehen, als Hartz IV zu empfangen. Und ich werde versuchen, meine Schmerzgrenze zu drücken. Ich gehe zu jedem Casting, auch wenn es eine McDonalds-Werbung ist. Ich will ja nicht mein Leben lang irgendwo abzocken.

Es gibt allerdings Dinge, die mir angeboten werden, die ich einfach nicht machen kann – so was wie ‚Hinter Gittern‘ bei RTL. Dann lieber Call-Center.“ AUFGEZEICHNET von JÖRG SCHALLENBERG