Regierung auf Eisberg-Kurs

Unterrichtsversorgung und Turbo-Abitur an den Gesamtschulen in Niedersachsen bergen Sprengkraft. Auch in CDU und FDP sind viele nicht zufrieden mit Kultusministerin Heister-Neumann

Am heutigen Donnerstag proben Gesamtschüler den Ausstand

VON KAI SCHÖNEBERG

Dass Elisabeth Heister-Neumann ihre Rede mit „Zurück zu den Fakten“ eröffnete, fand die Opposition witzig: Direkt vor Niedersachsens Kultusministerin hatten an diesem Mittwoch die Schulexperten der Koalitionäre CDU und FDP im Landtag in Hannover gesprochen. Die Schulpolitik treibt derzeit einen Keil zwischen die beiden Regierungsparteien. Mittendrin: Heister-Neumann wie auch Ministerpräsident Christian Wulff (beide CDU).

„Mit dem Regierungsschiff nehmen sie Kurs auf das nächste Riff“, sagte die SPD-Schulexpertin Frauke Heiligenstadt. Wulff als Kapitän habe „keinen Kompass“, Fraktionschef David McAllister bekomme seine Bootsmannschaft nicht in den Griff. „Denken Sie an das Ergebnis dieses Films, der Titanic“, rief Heiligenstadt und hielt eine Plakat mit Wulff und Heister-Neumann in Winslet-DiCaprio-Pose auf dem Todesschiff in die Höhe.

Turbo-Abitur an den Gesamtschulen und die Unterrichtsversorgung bergen derzeit zwischen Ems und Elbe nicht nur Sprengkraft für die Auseinandersetzung mit der Opposition, sondern auch für die Koalitionspartner: Am Wochenende hatte der Parteitag der Landes-Liberalen zusätzlich 500 Lehrer, eine Werbekampagne und eine Bedarfsplanung für Pädagogen gefordert – dagegen hatte die FDP-Fraktion wenige Tage zuvor noch das Schulkonzept von Heister-Neumann mit leichten Modifikationen abgesegnet.

Da in Mangelfächern wie Mathematik oder Latein in den kommenden zwei Jahren rund 2.000 Lehrer fehlen, will Heister-Neumann Teilzeitanträge strenger genehmigen, Pensionäre und Seiteneinsteiger gewinnen, je 250 Lehrer und Referendare neu einstellen. Das Maßnahmenbündel sei undurchdacht, munkelt es aus der CDU: Vier Abgeordnete hatten sogar gegen das Konzept ihrer Ministerin gestimmt.

Deutlicher noch kommt die Kritik von Seiten der FDP. Aufgekratzt legten die Jungen Liberalen gestern nach: Das Kultusministerium scheine „mit der Erstellung eines nachhaltigen Konzeptes“ zur Lehrerversorgung „schlichtweg überfordert zu sein.“ Und: „Auch über Veränderungen im Ministerium“ müsse jetzt „nachgedacht“ werden.

Zündeln à la CSU. Er könne nichts für das Mobbing gegen die Kultusministerin, sagte FDP-Fraktionschef Jörg Bode unschuldig – schließlich habe nur die Partei „Bedenken“ geäußert. Im Plenum schwieg sein FDP-Schulexperte Björn Försterling zum Zwist und betonte Gemeinsamkeiten mit der CDU – beim geplanten Turbo-Abitur an den Gesamtschulen. „Sie sollten ihren Vorzeigeschulen mehr Vertrauen schenken“, ätzte Försterling in Richtung Opposition. „Die schaffen das“.

„Unsinn“ taufte Karl-Heinz Klare (CDU) die Vorwürfe von SPD, Grünen und Linken, Schwarz und Gelb wolle die Gesamtschulen durch das Abitur nach 12 Jahren „ausbluten“ lassen. Bis spätestens 2018 sollen die Integrierten Gesamtschulen (IGS) in Niedersachsen eine Hochschulzulassung nach acht Jahren anbieten. Das schaffe Chancengleichheit mit den Gymnasien. In Finnland, Großbritannien oder Frankreich sei das Turbo-Abi an den dortigen Gesamtschulen längst Standard, sagte Klare. Und: „Wir garantieren, dass die IGS ihr pädagogisches Konzept fortführen können“. Von einer „emotionalisierten Debatte“ hatte auch Heister-Neumann gesprochen. An den IGS sei das Abitur nach 13 Jahren auch künftig möglich, die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen bleibe gewahrt.

Eltern, Lehrer und Schüler sammeln sich indes zum großen Frühlings-Protest – am heutigen Donnerstag proben Gesamtschüler in ganz Niedersachsen den Ausstand.