Joachim Lottmann

„DER SKLAVENAUFSTAND“ von Frank Hornung

Es gibt ca. eintausend Bürgerinitiativen gegen Handy-Strommasten in Deutschland. Frank Hornung ist Mitglied von einer. Er hat zwar selbst keine DIREKTEN medizinischen Symptome am eigenen Leib erlebt, hat sich aber aus prinzipiellen Gründen dort politisch engagiert. Er fühlte sich einsam, schlief nachts manchmal unruhig und litt unter beginnenden Altersdepressionen. Das hört auf, als er seine Frau kennen lernt, Enikö Gyöngyvér, eine junge Rumänin. Sie haben viel Sex miteinander, bis er erfährt, dass Enikö auf den Strich geht und zudem sein Konto plündert. Er geht der Sache auf den Grund: Enikö wurde von einem osteuropäischen Mädchenhändlerring unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt, an der Grenze von professionellen Schlägern vierzehn Tage lang pausenlos schier zu Tode gefickt und geschlagen, anschließend in Ostberlin zur Prostitution gezwungen. Frank Hornung geht diesem Schicksal nach und lernt auch andere Frauen kennen, denen es so ergangen ist. Nach und nach geht sein Interesse an den unbeweisbaren Schäden durch das Handytelefonieren zurück. Im Spiegel liest er, dass allein zwischen 2000 und 2003 über 800.000 junge Frauen zwischen 19 und 22 Jahren aus Osteuropa verschleppt und im Westen zu sexuellen Sklaven gemacht wurden, und, schlimmer noch, nach nur zwei Jahren als menschliche Wracks und lebende Tote zerhackstückt in ihre Heimat zurückexpediert wurden. Er ist erstaunt, dass es keine einzige Bürgerinitiative gibt, die das Thema aufgreift. So versucht er nun, die tausend BI's gegen Handytum zu mobilisieren. Doch er hat dabei keinerlei Erfolg. Deutsche interessieren sich leidenschaftlich fürs Banale und Eingebildete, die großen Menschheitsverbrechen lassen sie kalt. Vehement fordert einer der Angesprochenen das „Recht aufs Wegsehen“, beruft sich dabei sogar auf Martin Walser. Als Enikö Gyöngivér mitkriegt, welche Steine ihr Mann ins Rollen zu bringen versucht, bittet sie ihn, den Zuhälterring auszuzahlen und ein neues Leben in Rumänien zu beginnen. Doch Hornung hat Blut geschleckt, ist nicht mehr zu bremsen. Ein Buch will er schreiben darüber, einen großen Roman! Und er macht es. Er setzt sich hin und schreibt ein wildes, wirres, von Gefühlen getragenes, wahrlich hochinspiriertes Epos über Sklaverei im modernen Europa, mit Enikö an entscheidender Stelle (sie heißt Ludmilla Eisenstein im Buch). Der renommierte linke Verlag Kiepenheuer & Witsch will das Werk verlegen. Per einstweiliger Verfügung seitens der Anwälte Enikös und des Zuhälterringes wird das Werk niemals ausgeliefert. Ein Jahr nach der gerichtlichen Entscheidung lebt Enikö wieder in Rumänien, in einer Anstalt, ausgelöscht, physisch ruiniert und geistig verwirrt. Frank Hornung engagiert sich wieder für Handymasten. Die Zahl der Bürgerinitiativen gegen den Handygebrauch ist auf 1.230 gestiegen. Er will ein Buch im Techniker Verlag darüber schreiben. Er wird keine Namen nennen.

Zuletzt erschien von Joachim Lottmann die Wiederauflage seines lange vergriffenen Romans „Mai, Juni, Juli“ bei Kiepenheuer & Witsch