piwik no script img

Archiv-Artikel

Entschieden Komödie

Knechtschaft im globalen Stil: In seiner Inszenierung am Deutschen Theater situiert Tom Kühnel Kleists „Hermannsschlacht“ in der Ibis-Hotelkette

Unzweifelhaft haben sie Großes gewollt. Das Programmheft, Spiegel der Dramaturgenseele, zitiert alle Kapitalismuskritiker, die der international denkende deutsche Linke auf 32 kleinen Seiten zu lesen hofft: Marx, Schmitt, Enzensberger etc. bis zu Benjamin Barber und, selbstverständlich, Hardt/Negri. Hatte Kleist in der „Hermannsschlacht“ von der Unterjochung germanischer Stämme durch die Römer geschrieben und damit 1808 auf die aktuelle Unterdrückung durch Napoleon gezielt, geht es im Deutschen Theater nun um Knechtschaft im globalen Stil. Der Feind heißt Empire und kommt von allen Seiten. Vor allem von der, die Marktmechanismen heißt.

Weil der Markt im 21. Jahrhundert kein Feind von außen ist, sondern immer schon da, zeigt die Bühne von Katrin Hoffmann das Schlachtfeld als Ibis-Hotel. Lindgrüne Theken auf pastellblauem, gut zu wischendem Boden preisen sich als Zuhause auf Zeit an. In Kombination mit den gelb-blau-grünen Uniformen des Hotelpersonals (Kostüme: Ulrike Gutbrod) im Grunde ein Kriegsgrund für sich, doch noch sind die Germanen nicht so weit. Zwar weiß Hermann, seines Zeichens Hotelmanager: „Ganz Deutschland ist verloren schon.“ Und niemand in seinem uniformierten Serviceteam, als das uns die Fürsten vorgestellt werden, widerspricht. Doch bis sie mit den römischen Besatzern endlich kurzen Prozess machen, müssen noch viele gut aussehende Goldkettenträger einchecken. In der vorrevolutionären Phase, in der sich das Serviceteam offensichtlich befindet, singen jedenfalls alle eifrig mit, wenn die Corporate-Identity-Hymne der Hotelkette aus den Lautsprechern bumst: „Whoever you serve / serve with humanity / wherever you go / go with a smile. / We love this company!“

So weit, so gut. Theoretisch jedenfalls. In der Praxis dagegen lassen sich die verschiedenen Ideen und Ebenen von Tom Kühnels Kleist-Interpretation nicht wirklich zu einem runden Gesamtbild zusammenfügen. Im Programmheft stehen starke Thesen, aber der Inszenierung fehlt es an Entschlossenheit. Angefangen mit der Entscheidung gegen die große Bühne – was um Himmels willen hat die „Hermannsschlacht“, sei es die große deutsche Schlacht im Teutoburger Wald oder der entschlossene Kampf gegen die Globalisierung, in den kleinen Kammerspielen zu suchen? Und warum macht die Inszenierung, die so eine radikale Neuinterpretation wünscht, vor der Sprache halt? Es ist nicht unmöglich, Versmaß im Ibis-Hotel zu sprechen, aber man muss es sehr verinnerlicht haben, um es wie beiläufig auszuspucken. Jörg Gudzuhn als Hermann, Falk Rockstroh als Eginhard und einigen anderen gelingt das, doch wenn etwa Septimia spricht, hat man umgehend das Gefühl, Fallballa auf der Bühne zu sehen. An vielen Stellen ist diese Inszenierung lächerlich, und man fragt sich, ob das gewünscht ist. Elf gemeuchelte Römer fallen in blutverschmierten Bademänteln aus dem Fahrstuhl wie in einem Splatterfilm. Fürstin Thusnelda agiert als Putze, so dass ihr römischer Verehrer Ventidius den leidenschaftlichen Handkuss auf Vileda-Gummihandschuhe platzieren muss. Später wird er von einem naturgetreuen Bärenkostüm gerissen. Das ist entschiedene Komödie, okay, aber warum? Ging es nicht eben noch um etwas?

Als Heinrich von Kleist seine Hasstirade auf das Römische Reich alias das Frankreich Napoleons schrieb, machte er Hermann zu einem heroischen Partisanen. Allerdings zu einem, der Meuchelmord und Volksverhetzung nicht scheute, so dass seine Person – und die Geburt der nationalen Identität aus seinem Fanatismus – durchaus diskussionswürdig ist. Heute würde man ihn einen Terroristen nennen. Diesen brennenden Gedanken ignoriert die so um das Einfangen des Zeitgeists bemühte Inszenierung im Klamauk.CHRISTIANE KÜHL

Wieder am 1., 4. und 8.10., 20 Uhr