: Der Dumme hält den Kopf hin
Sprechende Taxifahrer sind in Artikeln verboten – hier ist mal wieder einer
Es wird immer schlimmer. Ich spreche nicht von Bayern. Ich spreche vom Schreiben für die seriöse Presse in den Zeiten der Medienkrise. Der Bericht von Gesprächen, die man im Zug abgehört hat, ist ja schon länger nicht mehr gestattet in der seriösen Presse. Damit hat man sich abgefunden. Mit dem Herbst geht auch nichts mehr. Wenn der Herbst vor der Tür steht, dann heißt es schon nach der ersten Kolumne, die von den Gefühlen erzählt, wenn der Herbst vor der Tür steht, dass weitere Artikel, in denen der Herbst vor der Tür steht, unerwünscht sind. Kann man auch fast irgendwie verstehen.
Aber jetzt seit neuestem muss man sogar einen Wisch unterschreiben, dass in der Story kein Taxifahrer mitspielt, der einem was erzählt hat. Soweit kommt’s noch, ohne mich, ich unterschreib das nicht.
„St. Pauli“, sagte ich, noch ehe die Tür zufiel. Ich war etwas nervös wegen eines Termins, zu dem ich nicht rechtzeitig kommen würde. Ich beruhigte mich, als ich hörte, dass der Taxifahrer Ry Cooders „Bop Till You Drop“- Album eingelegt hatte. Ich überlegte, ob das schon ausreichte für die kleine Nebenrolle.
„Hör mir bloß auf mit Pauli“, knurrte der gut Vierzigjährige Taxifahrer, „nach dem Abstieg hat man gedacht, gut, schlimmer wird’s nicht, jetzt geht’s wieder aufwärts, und plötzlich hast du so einen blöden Theaterhansel als Präsident!“ Der Taxifahrer war ein kräftiger Kerl mit einer dreckig lauten Lache. „Wenn mir vor ’nem Jahr einer gesagt hätte, dass mein Verein auch noch Uli Hoeneß in den Arsch kriecht für so ein verdammtes Benefizspiel, meine Herren, da steig ich lieber noch weiter ab, aber wie sieht’s aus mit der Würde in diesem Land? Die hat ungefähr so ’nen Stellenwert wie die Rotzfahne von diesem Friedrich Merz oder lieg ich da falsch? Nur mal ein Beispiel, muss man sich nicht für Fußball interessieren, um das zu verstehen. Ich hab nichts gegen Leute, die sich nicht für Fußball interessieren.“
Der Taxifahrer reagierte schnell und kommentarlos, als er von einem Sportwagen übel geschnitten wurde. „Jeder Amateurverein bekommt pro Saison fünf Ausweise, damit hat man freien Eintritt in allen Stadien, das ist für Leute, die eben im Fußballgeschäft arbeiten, Spieler beobachten und pipapo. Was passiert bei Sankt Pauli? Der Mann, der von diesen fünf Ausweisen keinen bekommen hat, ist der Trainer. Was willste da noch sagen?“ Der Taxifahrer schlug resigniert aufs Lenkrad. „Sie waren gestern im Stadion bei diesem Rockfestival, stimmt’s? Seh ich doch. Dreißig pro Nase holt man sich von den Fans, die Bands spielen für lau, Hut ab, aber, Freunde, wo landen die Kohlen eigentlich? Tja, da gibt’s jetzt den neu geschaffenen Posten des Medien-Koordinators. Was macht der Mann in der dritten Liga? Er macht ’nen echt harten Job. Er macht das Fenster auf, aus dem die Benefizkohlen rausgeworfen werden.“
Der Taxifahrer klatschte in die Hände. „Diesen Kinderchor mit den Fußballhymnen fand ich große Klasse, Fink fand ich gut, Fehlfarben auch, aber Jesus, diese Tomte, von vorn bis hinten Tocotronic abgekupfert, aber die Leute sind begeistert, die Journalisten sind begeistert, kann vielleicht mal jemand was sagen? Nullinger. Aber in diesem Land biste ja schon ’n Held, wenn du sagst, dass du die Bohlen-Kultur nicht ganz so toll findest.“
Der Taxifahrer bremste, wir waren am Ziel. St. Pauli an einem grauen Vormittag, und ich war zu spät. Ich hatte mich inzwischen entschlossen, ihn in dieser Story mitspielen zu lassen, und fragte ihn, ob er seine Einwilligung geben würde. „Brauchen wir wieder ’nen Dummen, der den Kopf hinhält“, sagte der Taxifahrer und schaute in den Rückspiegel. FRANZ DOBLER