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Archiv-Artikel

Auf dem Meer einfach geradeaus

Wie kann etwas in Wiklichkeit existieren, das es nur in der Phantasie gibt? Heiner Fahrenholz inszeniert Peter Bichsels Kindergeschichte „Amerika gibt es nicht“ im Bremer moks-Theater für alle ab neun Jahren – und trifft genau den richtigen Ton

Es knarzt irgendwo, als ob eine Tür zufällt, dann schaukelt es. Wellenrauschen bestätigt den Verdacht: Das Schiff hat einfach so abgelegt. Ohne zu fragen. Da sitzen sie nun, die vier Abenteuerlustigen (Julia Bardosch, Jelena Mitschke, Konradin Kunze, Martin Wolf) und schippern auf’s Meer hinaus. „Und was machen wir jetzt?“, fragt einer. „Wir werden ein Land entdecken, wir fahren auf dem Meer immer geradeaus, bis wir es entdeckt haben. Genauso, wie damals in der Geschichte.“ Welche Geschichte? Die Neugier ist geweckt.

Also, die Geschichte beginnt vor 500 Jahren am Hofe des Königs von Spanien… Schon machen die vier Segler aus dem Schiff den Königspalast und werden König und Diener. Der Herrscher wohnt in einem Palast zwischen Gold und Silber, Samt und Seide. Aber wenn man immer in Saus und Braus lebt, wird es irgendwann langweilig. Deswegen hat Majestät Hofnarren, die ihn zum Lachen bringen müssen. Alles geht seinen geregelten Gang, bis auf einmal Colombin in der Gegend rumsteht und staunt. Das findet der König interessant und lädt ihn ein, am Hof zu bleiben. „Er ist kein Narr, er ist ein Trottel“, sagen die Leute und lachen ihn aus.

Der König fragt: „Columbin, was willst du werden?“ Und Colombin antwortet: „Ich will nichts werden, ich bin doch schon etwas, ich bin Colombin.“ „Aber“, fragt der König noch einmal, „du musst etwas werden, wenn du groß bist.“ Colombin denkt nach: „Mein König, ich möchte Seefahrer werden und ein Land für Euch entdecken.“ Da lacht der ganze Hofstaat wieder einmal über ihn und Colombin heckt aus Trotz einen Plan aus: „Ich habe ein Land entdeckt!“, ruft er. Der alte Seefahrer Amerigo Vespucci hört davon: „Wo liegt es?“ Die Antwort ist einfach: „Ihr fahrt auf das Meer hinaus, immer geradeaus, und dann findet ihr das Land.“

Amerigo macht sich auf den Weg und findet tatsächlich ein unbekanntes Land. Man nennt es nach ihm: Amerika. Colombin aber wundert sich, denn er hat die ganze Geschichte doch nur erfunden, damit die Leute nicht mehr über ihn lachen. Amerika gibt es nicht. Wie kann etwas in Wiklichkeit existieren, das es nur in seiner Phantasie gibt?

Regisseur Heiner Fahrenholz hat Peter Bichsels „Amerika gibt es nicht“ fürs Theater adaptiert und inszeniert. Das Bühnenbild könnte vom schönsten Abenteuerspielplatz stammen: Schiffstaue markieren das Segel eins Schiffes, in der Mitte der Bühne hängen vier Leinen mit Knoten herunter. Wellen schimmern im Hintergrund auf Stoffsegeln.

Die vier SchauspielerInnen spielen mit allem, was das Bühnenbild hergibt: Die Schiffsglocke wird geläutet, das Segel wird hochgeklettert. Am schönsten sind die vier Taue: Flugs wird aus ihnen auch ein Pferd, ein Stuhl oder ein Menuett-Tanzpartner. Die SchauspielerInnen harmonieren wunderbar miteinander und erzählen die Geschichte in permanent wechselnden Rollen. Die Rollenwechsel werden aus dem Handgelenk geschüttelt: Mal sind sie Erzähler, mal König, Narr, Amerigo oder Hofvolk.

Regisseur Fahrenholz trifft genau den richtigen Erzählton und das richtige Tempo. Er erzählt die Geschichte phantasie- und humorvoll, mit viel Witz und Spannung: Die kleinen ZuschauerInnen sind mucksmäuschenstill während der Auffühung und verfolgen aufmerksam das Geschehen. Und der eine oder andere hat sich sicher still und heimlich gewünscht, mitspielen zu dürfen. Anna Postels

Weitere Vorstellungen: 9., 30. und 31. Oktober, jeweils um 16 Uhr