Der Jurist, der das Gesetz nicht kennt

Sachsen-Anhalts Justizminister Becker galt als unauffällig. Bis sein tatkräftiger Einsatz für Parteifreunde publik wurde

Einem 67-jährigen Volljuristen mit langer politischer Erfahrung dürfte so etwas eigentlich nicht mehr passieren. Da schreibt Sachsen-Anhalts Justizminister Curt Becker (CDU) auf einem Briefbogen seines Ministeriums an den Oberbürgermeister von Naumburg, Hilmar Preißer (ebenfalls CDU) – und verwendet sich in einer geschäftlichen Angelegenheit für seinen CDU-Landtagskollegen Hans-Jürgen Poser. Der nämlich streitet sich mit der Stadt Naumburg um die Zahl der erforderlichen Autostellplätze für eine Immobilie, die seine Firma saniert hat.

Becker kennt die Geschichte noch aus seinem früheren Amt. Nach Jahrzehnten in Baden-Württemberg, unter anderem bei der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen und im Stuttgarter Sozialministerium, war er 1990 als Bürgermeister in seine Geburtsstadt Naumburg zurückgekehrt. 1994 als Oberbürgermeister wiedergewählt, übte er dieses Amt bis zum Jahr 2001 immerhin zu solcher Zufriedenheit aus, dass ihm die Saalestadt anschließend die Ehrenbürgerschaft antrug. Im Mai 2002 berief ihn Ministerpräsident Wolfgang Böhmer in sein Kabinett.

Dort sorgte er bislang kaum für Aufsehen. Bis er sich eben an seinen Naumburger Amtsnachfolger wandte, er möge die erforderlichen Stellplätze am Grundstück seines Freundes doch bitte von 12 auf 3 verringern. Dessen insolvenzbedrohter Gesellschaft bürgerlichen Rechts wären dadurch mehr als 50.000 Euro erspart geblieben. Haarig wurde es, als Posers Anwalt das Schreiben in das anhängige Gerichtsverfahren gegen die Stadt Naumburg einführte. Man einigte sich schließlich auf 7 Stellplätze. Naumburgs Oberbürgermeister Preißer will den Vergleich ohne Kenntnis des Becker-Schreibens akzeptiert haben.

Als die Mitteldeutsche Zeitung den Fall aufdeckte, rief die Opposition von PDS und SPD sofort nach Rücktritt. Auch die Regierungsparteien CDU und FDP gingen vorsichtig auf Distanz. Weniger vorsichtig drückten sich Richter und Anwälte aus, zu denen Beckers Verhältnis seit längerem gespannt ist. Einen „unglaublichen Vorgang“ nannte der Verband der Strafverteidiger die Einflussnahme des Ministers. Aber Becker überstand Mitte Oktober eine Anhörung im Landtagsausschuss.

Doch postwendend wurde ein weiterer Fall bekannt. Becker passte die Besetzung einer Notarstelle im Städtchen Zeitz nicht. Obschon das Verfahren bereits abgeschlossen war, versuchte er, einen Naumburger Unionsfreund nach Zeitz zu dirigieren. Angeblich, um den Überhang an Notaren abzubauen. Von einer Ausschlussfrist für Nachzügler will der erfahrene Jurist Becker nichts gewusst haben. Als trüge nicht nur Justitia, sondern auch der ihr verpflichtete Landesminister eine Augenbinde – und zwar mit der Aufschrift CDU. „Das Maß ist voll“, wetterte der ehemalige SPD-Innenminister Manfred Püchel. Er fordert jetzt Beckers Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss.

MICHAEL BARTSCH