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Archiv-Artikel

Am fünften Tag begann das Sterben

Immer mehr Flüchtlinge aus Somalia kommen über Libyen nach Italien. Die Regierung in Rom ist ratlos

ROM taz ■ Horrorbilder bekamen die Italiener am Anfang dieser Woche zu sehen: Aufnahmen von einem Schiff voller Leichen. 13 Tote und, teils unter ihnen liegend, 15 Überlebende am Ende ihrer Kräfte befanden sich auf dem Boot, das in den Hafen der Insel Lampedusa geschleppt worden war.

Die aus Somalia stammenden Passagiere hatten eine dreiwöchige Schreckensreise hinter sich. Schon kurz nach ihrer Abfahrt von der libyschen Küste war der Motor ausgefallen, nach zwei Tagen war das Trinkwasser aufgebraucht, am fünften Tag begann das Sterben. Nach Aussagen der Überlebenden waren ursprünglich 85 Menschen an Bord; die meisten Toten, unter ihnen sieben Kinder, wurden in die See geworfen – bis auch dazu die Kräfte nicht mehr reichten.

Der Katastrophe folgten in dieser Woche fast im Tagesrhythmus weitere Unglücksmeldungen. Auf dramatische Weise wurde so deutlich, dass auf der Route Libyen–Lampedusa erneut hunderte Flüchtlinge unterwegs sind. Dank einer Übereinkunft mit Gaddafi war es der italienischen Regierung im Juli gelungen, die Wanderungsbewegung kurzfristig zu stoppen; nur noch gut 50 Menschen kamen in dem Sommermonat. Doch allein im Oktober landeten wieder über 600 Immigranten an. Einige von ihnen berichten, dass in Libyen tausende auf ihre Abreise warten. Neben denen, die gut ankommen, stehen womöglich hunderte Opfer, die in den letzten Wochen bei der Überfahrt ertrunken sind.

Italiens Regierung zeigt sich in dieser Situation ratlos, verzichtet aber auf die bisher bei der Einwanderungsfrage beliebten harten Töne. Silvio Berlusconi rief gestern bei seinem Auftritt vor dem Europäischen Parlament das „christliche und zivilisierte Europa“ auf, in der Flüchtlingspolitik untereinander sowie mit den Herkunfts- und Transitländern enger zu kooperieren. Der Ministerpräsident sprach angesichts der Toten von „Leuten, die mit der Kraft der Hoffnungslosigkeit eine bessere Zukunft suchen“ – und gibt so eine in Italien weit verbreitete Stimmung wieder. Doch trotz dieser Worte ist mit weiteren Investitionen in die technische Aufrüstung der Küstenwache, der Marine und der Finanzpolizei zu rechnen. MICHAEL BRAUN