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Archiv-Artikel

Tod durch Genickschuss im Minsker Knast

Amnesty international prangert in einem Bericht die Hinrichtungspraxis in Weißrussland und Usbekistan an. Verurteilte vegetieren oft jahrelang im Todestrakt, ihre Angehörigen werden erst Monate nach der Vollstreckung des Urteils informiert

VON BARBARA OERTEL

Weißrussland und Usbekistan sind die beiden einzigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, in denen Menschen derzeit noch zum Tode verurteilt und hingerichtet werden. Das geht aus dem Bericht „Weißrussland und Usbekistan: die letzten Henker. Trends zur Abschaffung der Todesstrafe im ehemaligen Sowjetraum“ der Menschenrechtsorganisation amnesty international hervor, der heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Genaue Zahlen gibt es laut amenesty nicht. Usbekische Menschenrechtrechtler sprechen jedoch von bis zu 200 Hinrichtungen jährlich. Nach Angaben von Oberst Oleg Alkayev, von Dezember 1996 bis Mai 2001 Direktor des Isolations-Untersuchungsgefängnisses in der weißrussischen Hauptstadt Minsk (Sizo) und Leiter des Hinrichtungskommandos, seien im selben Zeitraum 134 Gefangene hingerichtet worden. In den meisten Fällen erfolgen Verurteilung und Hinrichtung aufgrund des Straftatbestands „vorsätzlicher Mord unter erschwerenden Umständen“.

Sowohl Usbekistan als auch Weißrussland haben das Erste Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPBRP) ratifiziert. Mit dieser Ratifizierung erkennt ein Staat die Zuständigkeit des UN-Menschenrechtskomitees an, Individualbeschwerden von Personen entgegenzunehmen, die seiner Rechtsprechung unterworfen sind und angeben, Opfer von Verletzungen der im Pakt niedergelegten Menschenrechte zu sein. Dessen ungeachtet sind amnesty mindestens 14 Fälle bekannt geworden, in denen in Usbekistan Gefangene hingerichtet wurden, obwohl das UN-Menschenrechtskomitee nach dem Erhalt von Klagen über schwere Menschenrechtsverletzungen einschließlich von Folter zur Erpressung von „Geständnissen“, um eine Aussetzung der Hinrichtung ersucht hatte.

Nach ai-Angaben leben die Insassen des Todestrakts in ständiger Angst vor ihrer jederzeit möglichen Hinrichtung. Weder sie noch ihre Anwälte werden über den Stand des Verfahrens bzw. die Entscheidung über ihr eingereichtes Gnadengesuch informiert. „Der Gefangene wird aus der Zelle im Todestrakt in einen separaten Raum gebracht. Ich ordne die Vollstreckung des Todesurteils an“, schildert Alkayev das Vorgehen. „Der Betroffene weiß dann noch immer nicht, wann sie stattfindet. Dann wird dem Gefangenen eine Augenbinde umgebunden, und er wird in den nächsten Raum gebracht. Dort wartet ein Mann und schießt ihm ins Genick.“ Die Exekutoren seien psychologisch so ausgebildet, dass sie den Befehl ausführen und danach problemlos mit ihren Töchtern in den Zoo gehen könnten, so Alkayev weiter. Genauso wenig wie die zum Tode Verurteilten werden deren Angehörige informiert. Diese erfahren oft erst Monate später von der Hinrichtung. Weder wird ihnen die letzte Habe des Hingerichteten ausgehändigt, noch erfahren sie, wo jener bestattet wurde. „Ich kann den Platz nicht preisgeben, weil er geheim ist“, zitiert der ai-Bericht Alkayev. „Gäbe ich einen Hinweis, gingen die Mütter, Schwestern und Brüder mit Schaufeln hin und würden ihn ausgraben. Dies ist zu verhindern.“

Anders als Weißrussland und Usbekistan haben mittlerweile neun Nachfolgestaaten der Sowjetunion die Todesstrafe abschafft. In Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und der Russischen Föderation sind derzeit zumindest Moratorien für Todesurteile und Hinrichtungen in Kraft.

Mit dem Beitritt zum Europarat 1996 hatte sich Russland verpflichtet, die Todesstrafe innerhalb von drei Jahren abzuschaffen. Dieser Schritt steht immer noch aus. Eine weitere Verletzung gegen Russlands Verpflichtungen als Mitgliedsstaat des Europarats stellt die Abschiebung von mindestens zwei Männern nach Tadschikistan und Usbekistan dar, wo beide zum Tode verurteilt wurden. Ai appeliert dringend an die Regierung in Moskau, ihre Abschiebungs- und Auslieferungspraxis mit ihren vertaglichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen – wohl eher ein frommer Wunsch. Einmal abgesehen von dem Krieg in Tschetschenien wäre es erstaunlich, wenn sich Russland ausgerechnet in dieser Frage von den Regularien des Europarats beeindrucken lassen würde.