: „Wir sind es den Illegalen schuldig, ihre Lage zu verbessern“, sagt Dieter Oberndörfer
Hunderttausende von illegalen Migranten leben unter uns. Wir brauchen sie – doch Rechte geben wir ihnen nicht
taz: Wer sind die Illegalen, die in Deutschland leben?
Dieter Oberndörfer: Leute, die ihre wirtschaftliche Lage verbessern wollen – genau so wie die Auswanderer aus Europa im 19. Jahrhundert. Bei uns wird das Wort Wirtschaftsflüchtling heute allerdings mit negativem Akzent benutzt – als Bezeichnung für Leute, die an unserem Wohlstand teilhaben wollen.
Wer sind die typischen illegalen Migranten?
Die meisten von ihnen arbeiten mit ungeheurer Zähigkeit darauf hin, hier zu leben. Hier haben sie meist ein zentrales Interesse: bloß nicht mit der Polizei in Kontakt kommen, weil sie dann sichtbar werden. Es gibt unter den Illegalen natürlich auch Kriminelle, aber nach allem, was wir aus Untersuchungen wissen, sind diese die Ausnahme. Wir müssten die beeindruckenden Energien der illegalen Migranten positiv kanalisieren – also sie legalisieren.
Das Gegenargument lautet, dass der Staat so einen Rechtsbruch akzeptiert. Was antworten Sie darauf?
Dass dies zum Teil richtig ist – vor allem aber eine Perspektive ist, die nicht weiterhilft. Illegale Zuwanderung ist eine Tatsache. Kein westlicher Staat hat es geschafft, seine Grenzen abzudichten und Migration zu unterbinden. Wenn wir also den Fakt anerkennen, dass wir illegale Migration nicht verhindern können, verstehen wir das zentrale Problem: Wollen wir zulassen, dass diese Leute unsere Gesellschaft kriminalisieren – oder nicht?
Wieso?
Denken Sie an den Hotelbesitzer oder Bauunternehmer, der Illegale beschäftigt und so mehr Gewinne erzielt als jemand, der legal für Deutsche Steuern und Sozialabgaben bezahlt. Faktisch wird so mieseste Schwarzarbeit honoriert. Deshalb verhalten sich viele EU-Staaten und die USA gemäß der Maxime: Wir bekämpfen illegale Migration. Aber wenn sie nun mal hier sind, bieten wir den Ehrlichen einen legalen Status an.
Legalisierungen sind also der Königsweg?
Nein, das nicht. Die Legalisierung kann für die Betroffenen, wie Erfahrungen in Frankreich und Belgien zeigen, durchaus zwiespältig sein. Sie können zum Beispiel ihren Job verlieren, weil sie als Legale eben keine spottbilligen Arbeitskräfte sind. Aber ich kenne keine bessere Alternative.
Und was gescheht mit jenen, die das Angebot zur Legalisierung nicht nutzen?
Da muss man dann konsequent sein.
Also ausweisen?
Unter Beachtung der geltenden Gesetze – ja.
Herr Oberndörfer, verstehen Sie, warum es im rot-grün regierten Deutschland noch nicht mal den Versuch gibt, eine Legalisierung anzupeilen?
Das liegt wohl an dem gesellschaftlichen Klima. Einwanderer werden als Störfaktoren gesehen, die unsere nationale Identität in Frage stellen, die uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Das macht es für Politiker schwer, dieses Thema anzusprechen.
Aber warum haben die Grünen, die lange für die Legalisierung waren, dies in der Regierung scheinbar vergessen?
Ach, die müssen doch Rücksicht auf die SPD nehmen, und die nimmt Rücksicht auf ihre Klientel in den alten Industrien. Das Thema ist hoch emotionalisiert. Glauben Sie mir, ich kenne das aus eigener Erfahrung von Vorträgen. Sobald Sie erwähnen, dass in Italien und anderswo Legalisierungen möglich waren, kommt das Argument: Sie wollen Kriminelle legalisieren. Es ist immer die gleiche Kette: Illegale Migranten gleich Kriminelle gleich Drogendealer. Da äußern sich Ängste, an denen die Hinweise auf die Realität abprallen.
Wie kann man diesen Angstpanzer durchlässiger machen?
Ich glaube, das einzige Argument, das verstanden wird, ist: Wenn wir den Illegalen helfen, nutzt dies uns auch selbst, weil wir nur so die Schwarzarbeit von Illegalen einschränken können.
Und die Möglichkeiten der Politik halten Sie, angesichts des Klimas 2003, für gering?
Nein, nein, durchaus nicht. Ich glaube daran, dass man mit politischer Führung viel erreichen kann. Wenn eine Regierung entschlossen mit dem Argument antreten würde: Wir sorgen dafür, dass die Wettbewerbsverzerrung durch Illegale endlich aufhört, dann könnte sie zumindest eine Teilamnestie durchsetzen.
Das würde funktionieren?
Es wäre ein Risiko, aber ein lohnendes. Es wäre auch ein Test für die liberale, humane Substanz dieser Gesellschaft. Denn wir schulden doch den Illegalen, die unsere Wirtschaft ja braucht, auch etwas. Denken Sie nur daran, dass der bundesdeutsche Mittelstand ohne mehr oder weniger illegale Pflegekräfte gar nicht in der Lage wäre, die Kranken und Alten zu versorgen. Wer all diese Gründe beharrlich und entschlossen vorträgt, der kann auch politisch profitieren.
Und wie sieht es in Ihrer Partei, der CDU, aus?
Im Moment leider schlecht. Die Offenheit, die es während der Süssmuth-Kommission parteiübergreifend gab, ist im Kampf um das Zuwanderungsgesetz verschwunden. Wer jetzt in der Union aus der Reihe tanzt, wird gekreuzigt. Mir sagen viele Unionsanhänger: Sie haben ja Recht, wir brauchen Zuwanderung, schon um den demographischen Wandel abzufedern. Aber nur privat.INTERVIEW: STEFAN REINECKE