Die Nichtschwimmerin

Alle wollen etwas von Franziska van Almsick – Glamour, Goldmedaillen und ein Comeback. Aber was will sie selbst? Eine Begegnung anlässlich der Präsentation ihres Buches „Aufgetaucht“

VON SUSANNE LANG

Eine Kamera ist auf Franziska van Almsick gerichtet, grelles Licht auf ihren Augen, sie blinzelt nicht. Noch ein paar Fragen Zeit. Das nächste Team wartet draußen, im Kundenservicecenter des KaDeWe am Berliner Wittenbergplatz. Fettiger Bratendunst hängt in der Luft, nebenan lockt das Feinschmeckerparadies. Franziska van Almsick sitzt auf einem schwarz gepolsterten Ledersessel und wünscht sich ein normales Leben, ohne gedachte Anführungszeichen. Ein normales Leben – das, was die anderen nicht zulassen wollen. Seit 13 Jahren nicht. Und irgendwie haben sie ja Recht. Die Medien, die Zuschauer, die Fans. Sie suchen das Außergewöhnliche, das Unglaubliche, das Übermenschliche.

Franziska van Almsick schwimmt, ist 21 Jahre lang geschwommen, jetzt wird sie nicht mehr schwimmen. „Hallo, ich bin die Franzi“, sagt sie zur Begrüßung jedes Journalisten, der an diesem Tag im KaDeWe vor und nach der Signierstunde ihres Buches mit ihr sprechen möchte. Dann zieht sie die Mundwinkel flüchtig nach oben. Wartet mit großen, offenen Augen auf die Fragen.

taz: Franziska van Almsick, guter Tag oder schlechter Tag?

Franziska van Almsick: Also, bisher bin ich noch gut gelaunt.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Ihre Laune immer entscheidend ist.

Ja, heute ist es aufregend, hinter so einer Bücherwand habe ich auch noch nie gesessen.

Unvertraut?

Im Gegenteil, gerade weil es um etwas sehr Vertrautes geht: mein Buch. Ich habe es selber geschrieben. Zum ersten Mal mache ich nicht für etwas anderes Werbung, sondern für mein Buch, mein Baby. Vor einer Woche hatte ich das erste Exemplar in den Händen, ganz druckfrisch.

Warum haben Sie das Buch geschrieben?

Es gab viele Situationen, die ich einfach mal richtig stellen wollte, besonders in den Jahren dazwischen, in denen nicht so richtig klar war, warum es nicht mehr gut lief. Und ich wollte meine Sicht auf einige Mediengeschichten schildern, zum Beispiel diese Hitler-Meldung 1995, als ich angeblich plötzlich Hitler-Fan war. Ich glaube, es gibt genug Leute, die mich nicht mögen, aber auch genug, die mich mögen.

Und viel zu viele Leute, die den „Goldfisch der Nation“, den ersten gesamtdeutschen Sportstar nach der Wende, mit seinen 14 Jahren viel zu sehr gemocht haben. Zu viele, die ihre Interviews auf dem Boulevard der Sporthelden verkürzt haben, und nach ihrer Äußerung, sie fände es faszinierend, dass Hitler so viel Macht besessen habe, so viele Menschen in seinen Bann zu ziehen, in die Nazi-Schublade schoben. Zu viele, die Franz-Josef Wagners „Franzi van Speck“ nachgeplappert haben.

Nun gibt Franziska van Almsick die ersten längeren Interviews nach den Olympischen Spielen in Athen – ihren letzten. Und diese Inszenierung stimmt. Während im dritten Stock des KaDeWe Fans und Fotografen Schlange stehen für ein Autogramm, wollen die Journalisten letzte Antworten. Ob allein ihr Buch interessiert hätte? Es ist immerhin ein Anlass für die entscheidenden Fragen: Wie ist das jetzt, enttäuscht? Nur Fünfte, wieder kein Olympiagold. Besser doch nach der großartigen Europameisterschaft die Karriere beendet? Ja, klar enttäuscht. Sagt sie. Nein, Athen war wichtig, betont sie, sie hätte es ewig bereut, nicht noch mal gestartet zu sein.

Sie schreiben, dass Sie sich gerne in Menschen eindenken und daher selbst Biografien lieben. Welche denn?

Sehr gerne Sportbiografien, von Lance Armstrong zum Beispiel, von Leuten, die ich mag, die mich interessieren. Lance Armstrong mag ich zwar nicht wirklich, aber ich wollte mehr über ihn wissen, weil er ein außergewöhnlicher Sportler ist. Ich wollte herausfinden, ob ich den Typ verstehe.

Und?

Nein. Während ich las, dachte ich: Das gibt’s doch gar nicht, der ist ja wirklich sportfanatisch. Ich glaube, wenn man dem das Fahrrad klaut, fällt er tot um.

Er sieht immer so aus, als könne er sich nicht wirklich freuen. Was unterscheidet Sie von jemandem wie Armstrong?

Ich war auch sehr diszipliniert, habe meinen Sport über alles geliebt, aber ich hatte immer eine Grenze. Für meine Familie hätte ich viel aufgegeben. Sport war ein wichtiger Teil meines Lebens, aber niemals der allerwichtigste. Nicht über Leichen.

Wessen Leichen?

Ich bin kein Kämpfer, der sich vorbereitet und dann geht es um Leben und Tod, sondern – vielleicht war das auch Egoismus – es ging immer um mich. Ich wollte mich verbessern und habe mich immer an mir selbst gemessen.

Silber über 200 Meter Freistil bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta, van Almsicks zweite Spiele: Gold verloren, das war und ist die Einschätzung der anderen. Die Sportlerin als Produkt der Medien und für die Medien und Fans: Franziska van Almsick vor der Bücherwand, Autogramme in ihr Buch schreibend. Franziska van Almsick, den Arm um ein blond gelocktes Mädchen gelegt. Das große Vorbild posiert für den unvergesslichen Schnappschuss. Beobachtet von ihrer Managerin, von der KaDeWe-Geschäftsführerin, von den Verlags-PR-Damen. Das nächste Mal vielleicht doch besser mit Lesung? An einem anderen Veranstaltungsort? Nicht in einem Luxus-Warenhaus, das seine Produkte wohlfeil anpreist?

Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere ein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein entwickelt?

Man kämpft eher mit sich selbst, um sich treu zu bleiben. Natürlich ziehe ich auch viele Vorteile aus dieser Öffentlichkeitsmaschinerie, die vor 12 Jahren angelaufen ist. So verdiene ich ja auch mein Geld. Aber ich wollte nie berühmt werden. Es ist einfach so passiert.

Kommt nach dem Abschluss der Karriere die Verantwortung?

Ich würde es nicht Verantwortung nennen, eher ein Sich-Beobachtet-Fühlen. Manchmal ist es auch ein schönes Gefühl, zu merken, dass man für viele Menschen ein Vorbild ist. Andererseits muss man ständig irgendwelchen Erwartungen standhalten. Jetzt sind es eben nicht mehr meine sportlichen Leistungen, aber die Leute werden mich weiter beobachten.

Ihre Schirmherrschaft für das Projekt „Fair feels good“ – möchten Sie damit eine Erwartungshaltung erfüllen?

Ich finde, da gibt es Unterschiede. Gar nicht leiden kann ich, wenn sich Prominente oder Semipromis mit sozialen Engagements schmücken, den Riesenaufriss machen und so tun, als wären sie die großen Sozialarbeiter. Da sind mir die am sympathischsten, die sich auf ein oder zwei Sachen beschränken und wenn es sein muss, sich dafür eben auch still einsetzen. Für meine Schirmherrschaft nehme ich mir jetzt die Zeit, um die Projekte vor Ort zu besuchen.

Würden Sie gerne die politische Bühne nutzen – als erster gesamtdeutscher Sportstar, mit dem sich Helmut Kohl bei Auftritten schon damals geschmückt hat?

Früher ist es einfach so passiert, da habe ich nicht drüber nachgedacht. Ich habe zu vielen Dingen eine Meinung, auch eine politische, bin aber vorsichtiger geworden. Wenn ich mich hinstelle und sage, die Leute sollen mal anpacken, nicht mehr jammern und mal arbeiten gehen, das kann ich mir einfach nicht erlauben. Weil die Franzi hat’s ja, die schwimmt in Geld, was bildet sie sich ein, was redet die darüber.

Die Effenberg-Nummer.

Ja, genau. Ich kann das auch verstehen, dass man einem Supermulti, der die Kohle hat, nicht wirklich abnehmen kann, dass er weiß, wie es den Leuten in sozial schwachen Schicht geht. Obwohl ich so weit gar nicht davon entfernt bin, ich hatte ja eine ganz normale Kindheit und weiß, wie es ist, wenn man sich nicht alles leisten kann. Ich äußere mich lieber zu Themen, von denen ich Ahnung habe, Schwimmen zum Beispiel. Dort kann und will ich etwas bewegen.

Sie wollen eine Schwimmakademie gründen. Warum?

Den Kindern heute wird schlecht Schwimmen beigebracht. Meine Generation kann eigentlich gar nicht schwimmen. Dabei ist Schwimmen ein sehr beliebter und gesunder Sport. Es geht mir um die Vermittlung der Technik und um Spaß. Dinge, die man kann, macht man gerne und auch oft.

Mittwochabend vor einer Woche, der große Medien-Auftakt bei Stern-TV: Franzi spricht mit Günther Jauch. Donnerstag, der große Print-Auftritt im Magazin „Stern“, inklusive Fotostrecke: Titel „Die Unvollendete“. Donnerstag: große Geschichte in „Bild“, Gespräche mit der Berliner Presse und Signierstunde im KaDeWe, abends ein Seitenhieb-Gag von Anke Engelke: „Nach der Essstörung kam die Schwimmstörung“. Montagabend, Plauderauftritt bei Reinhold Beckmann. Ab heute Buchmesse.

In welches Nach-Karriere-Sportler-Modell würden Sie sich einordnen: Steffi Graf oder Boris Becker?

Dazwischen. Diese totale Präsenz von Boris, also nee danke, darauf habe ich keine Lust. Ich will ja ein normales Leben. Andererseits ist dieses komplette Einmauern von Steffi Graf auch nichts für mich, dazu bin ich zu kommunikativ, will zu viel bewegen. Ich habe ja nicht vor, mich einzuäschern. Ab und zu würde ich mich zu Wort melden. Dann bin ich wieder gerne weg.

Lernen von Franzi, davon spricht Jana Hensel in ihrem Buch „Zonenkinder“: nicht nur Siegen haben wir von ihr gelernt, auch Verlieren. Stimmen Sie da zu?

Das finde ich sehr angenehm.

Wieso?

Ich habe sehr zu schätzen gelernt, dass Niederlagen dazu gehören. Sie zu akzeptieren. In der heutigen Gesellschaft ist das schwierig. Man hat stark zu sein, darf sich nicht unterkriegen lassen, nur dann kommt man oben an. Aber so ist es nicht.

„Aufgetaucht“ sei sie jetzt, schreibt Franziska van Almsick in ihrem gleichnamigen Buch, „an Land gegangen“. Mit einem fünften Platz über 200 Meter Freistil in Athen. Unhappy ending, sagen die Spin Doctors, das ist zu kompliziert, verkauft sich nicht. Kaum eine Sportart profitiert mehr von der Medieninszenierung als der Schwimm- und Radsport. Erst durch die Dramaturgie der Fernsehübertragung spinnt sich die Geschichte der Athleten zur Heldensage. Die Geschichte der Franziska van Almsick wäre allenfalls der Postmythos einer erschütterten Heldin.

Dabei ist alles, was sie eigentlich sucht, Respekt.