: Lieber spazieren gehen, als die Frau zu prügeln
Die Polizei einer Zuwanderungsgesellschaft muss zunehmend auf Community Policing setzen. Berlin steht bei der Einbindung von muslimischen Vereinen erst am Anfang. Die Polizei in Essen ist schon weiter
„Alter, lass gut sein,“ herrscht ein junger Libanese den Polizeiobermeister bei seiner Festnahme an. „In Beirut habe ich schon drei erschossen. Willste der Nächste sein?“ Die Szene hätte sich im Soldiner Kiez im Wedding abspielen können, wo es immer wieder zu tätlichen Angriffen auf Polizisten kommt. Hat sie aber nicht. Schauplatz des Geschehens war Katernberg, ein Stadteil von Essen, der einen ähnlich hohen Migratenanteil hat wie der Soldiner Kiez.
Der Essener Vorfall war ein Bespiel von vielen, mit denen gestern auf einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „Interkulturelle Öffnung der Verwaltung“ illustriert wurde, dass die Polizei bundesweit mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat: In Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil, in denen Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit regieren, wird die Polizei von jungen Männern nichtdeutscher Herkunft immer weniger ernst genommen. Katernberg zeigt aber auch, dass es Erfolg versprechende Gegenkonzepte gibt: Die Einbindung der Bevölkerung, Migrantenverbände, Moscheenvereine, Kiezgremien und Behörden in die Präventionsarbeit und Kriminalitätsbekämpfung. „Community Policing ist die zentrale Aufgabe der Polizei am Beginn des 21. Jahrhunderts“, so das gestrige Fazit von Polizeihauptkommissar Klaus-Dieter Schelske, der in Berlin die „Clearingstelle für Polizei und Ausländer“ leitet.
Aller Anfang ist schwer. Und die Berliner Polizei steht, was Community Policing angeht, erst am Anfang. Die operativen Ermittlungsgruppen zur Bekämpfung von Jugendgewalt und einzelne Präventionsbeamte versuchen sich bereits in bürgernaher Polizeiarbeit. Der Erfolg hängt vom persönlichen Engagement ab, ein einheitliches Konzept gibt es nicht, wenngleich Polizeipräsident Dieter Glietsch das Community Policing befürwortet.
Brandneu ist das vom Neuköllner Abschnitt 54 seit kurzem praktizierte Kooperationsprojekt „Polizei und Moscheevereine gemeinsam im Kiez“. Das Projekt wird von der Türkischen Gemeinde und der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) unterstützt.
Ergebnis der Kooperation ist, dass Beamte des Abschnitts 54 und Vertreter von Ditib und Türkischer Gemeinde alle zwei Wochen eine gemeinsame Sprechstunde abhalten, in der türkische Eltern kriminalitätsgefährdeter Kindern Rat suchen, Gespräche mit den Jugendlichen selbst geführt und Lösungen für Probleme im Kiez angedacht werden.
Die muslimischen Vereine „als Instanzen sozialer Kontrolle mit ins Boot nehmen“, lautet die Maxime. Im Vorfeld haben sich die rund 150 Beamten des Abschnitts durch Schulungen und Moscheenbesuche in Sachen türkischer Kultur und Islam fortgebildet. Eine Ausdehnung des Projekts auf andere Bezirk mit hohem Migrantenanteil ist geplant.
Im Vergleich zu Katernberg steckt Neukölln allerdings in den Kinderschuhen. In dem Essener Stadteil – der nach Berlin Deutschlands zweitgrößten libanesischen Community – arbeiten Polizei und Moscheevereine schon seit fünf Jahren überaus erfolgreich zusammen. Raub- und Gewaltdelikte an einer Sonderschule mit hohem Anteil libanesischer Schüler seien um 80 Prozent zurückgegangen, berichtete gestern der Essener Polizeioberrat Klaus-Peter Netz auf der Tagung. Der Hintergrund: Der Imam hatte die Eltern zu einer Versammlung in die Turnhalle bestellt: „Ihr habt zu erscheinen.“ Unter Berufung auf den Koran rief der Prediger dazu auf, die deutschen Gesetze zu beachten. Das Ergebnis: Alle Schüler unterschrieben eine Erklärung für ein friedliches Zusammenleben. Das Papier hat bis heute Gültigkeit. Egal ob es sich um häusliche Gewalt oder die Zwangsverheiratung von Minderjährigen handelt – der Imam sei stets bereit, im Sinne der Polizei zu vermitteln, so Netz. In einem Faltblatt rufe die Moschee die Männer auf, lieber spazieren zu gehen, als ihre Frauen zu prügeln. PLUTONIA PLARRE