: Die gefährlichste Pizza der Welt
Arabische Woche der Wahrheit: An Bagdads Checkpoint No. 1 liegt die „Pizzeria Napoli“
BAGDAD taz ■ Grün. Weiß. Rot. Die italienische Flagge mit der Aufschrift „Pizza Napoli“ ist weithin sichtbar. Als Markise hängt sie so weit herab, dass sie über die Hälfte des Stehrestaurants mit der gläsernen Straßenfront verdeckt. Das sei gleich von doppeltem Vorteil, betont Restaurant-Besitzer Walid al-Bayati und legt eine CD mit Italo-Rock auf.
Die Trikolore halte seinen Laden schön schattig; biete neben kühlendem Lichtschutz aber auch Sichtschutz vor Scharfschützen. Für seine Gäste ein nicht zu verachtender Service: Das etwa 30 Quadratmeter große Stück „Bella Italia“, das original Holzkohlenpizza offeriert, befindet sich nämlich nicht mehr als hundert Meter hinter der Jumhuriyya-Brücke und damit schräg gegenüber vom so genannten „Checkpoint No. 1“. Dieser Kontrollposten Nr. 1 ist einer der Hauptzugänge zur „Grünen Zone“, dem Areal, auf dem sich unter anderen die Angehörigen der irakischen Übergangsregierung und der US-Botschaft verschanzt haben. Das macht die Pizzeria in der Nähe des Postens zu einem der gefährlichsten Arbeitsplätze der Welt. Das ahnte Walid al-Bayati wohl nicht, als er im Juni des vergangenen Jahres seine „Pizzeria Napoli“ eröffnete.
Als er nach einigen Jahren des Exils bei Ende der Kampfhandlungen wieder in den Irak kam, habe er bloß die Idee gehabt, in Bagdad eine echte Pizzeria zu gründen, streng orthodox nach italienischem Vorbild. Während eines zweijährigen Rom-Aufenthaltes hatte Walid zuvor gelernt, wie eine gute Pizza schmecken muss; später hat er unter der Aufsicht eines italienischen Meisters in Jordaniens Hauptstadt Amman sein Können verfeinert. Und zunächst machte sich sein neu eröffnetes Geschäft auch äußerst gut. Zu Walids Kunden zählten Wirtschaftsvertreter, die in der Grünen Zone zu tun hatten, Journalisten und US-Soldaten. Die Militärs kamen zwar nie selbst; sie richteten sich jedoch ihren eigenen Pizza-Blitz ein.
Sie schickten, so erzählt Walid, irgendeinen Straßenjungen, dem sie eine Ein-Dollar-Note in die Hand drückten, um die Pizza abzuholen. Manchmal habe er auf diese Weise 20 bis 30 Stück am Tag verkauft.
Bestellt wurde das italienische Backwerk per Telefon. Die höheren Militärränge hatten Walid deshalb extra mit einem VIP-Handy ausgestattet. Lange vor allen anderen „normalen“ Irakern besaß Walid ein Mobiltelefon – eines mit US-Nummer, das ansonsten nur ausländischen Diplomaten oder irakischen Politikern zustand. Er besitze es immer noch, wenngleich seine SIM-Karte nicht mehr funktioniere.
Nach dem Selbstmordattentat, das am 18. Januar auf den Checkpoint No. 1 verübt wurde und bei dem 25 Menschen starben, blieben Walids Gäste aus der Grünen Zone weg. Der über die Straßenkinder organisierte Pizza-Dienst war den Militärs zu riskant geworden. Auf diese Weise wurde Walid indirekt ein Opfer des Attentats. Aber es hat ihn auch direkt getroffen: Seine „Pizzeria Napoli“ wurde von der Wucht der Detonation völlig zerstört; die Glasfront ging zu Bruch und auch Teile der Einrichtung; die Bilder an der Wand und die zwei Rahmen. In einem hängt ein Artikel über ihn, Walid, aus der Zeitung Stars and Stripes; in dem anderen eine Urkunde, auf der zu lesen ist: „Pizza Napoli – Zum Dank für die geleisteten Dienste: Die Soldaten der 32. Militärpolizeikompanie ‚Zweiter Zug – die Skorpione‘“.
Walid baute nach dem Selbstmordattentat sein Geschäft wieder auf; hängte die Bilder erneut an die Wand, ebenso wie die Danksagung der US-Militärs. Sisyphos-Arbeit. Denn kurz nachdem er alles fertig hatte, explodierte die nächste Bombe. Sie traf den Checkpoint No. 2, der sich etwas weiter die Straße herunter befindet. Die Detonation war längst nicht so stark wie die vorherige; sie ließ „nur“ die Glasscheiben zersplittern. Auch sie ersetzte Walid wieder. Die Gäste dankten es ihm; zwar fehlten die Militärs auf seiner Liste, doch die anderen ließen sich nicht den Appetit verderben. Journalisten und Geschäftsleute kamen weiterhin unerschrocken und mit knurrendem Magen. Sie bleiben erst seit April aus; seit die ersten Ausländer im Irak entführt wurden. Heute liege das Geschäft danieder.
Die zwei Italienerinnen, die für eine Hilfsorganisation gearbeitet hatten, dann verschleppt wurden und schließlich nach drei Wochen Geiselhaft freikamen, kennt Walid nicht. Aber Georges Malbrunot kenne er, einen der zwei am 20. August gekidnappten französischen Journalisten. Georges habe oft bei ihm Pizza gegessen; immer die Nummer 4, die Napolitana.
Trotz des Gästeschwundes hat Walid noch nicht daran gedacht, seine „Pizzeria Napoli“ zu schließen; er müsse ja irgendwie seine Familie ernähren: seine Mutter, seine drei Söhne und seine beiden Frauen.
Wie es weitergehe mit dem Irak im Allgemeinen und mit ihm, Walid, im Besonderen, das wisse nur Gott. Er werde allerdings auch weiterhin versuchen, unweit des Checkpoint No. 1 in Bagdad Pizza zu backen – und wenn es nur eine am Tag sei. Eines erreiche er damit vielleicht: einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde: für die Pizzeria mit den kleinsten Umsätzen und den größten Gefahren.
BJÖRN BLASCHKE