: Vor dem Absprung
Robert Huth, einer der deutschen Hoffnungsträger für die WM 2006, kommt bei Chelsea London nicht zum Zug
BERLIN taz ■ Vielleicht sollte es Jürgen Klinsmann noch mal ganz spät in der Nacht versuchen. Im fernen Iran, weit weg von Robert Huths europäischer Realität, könnte der Bundestrainer ihn aus dem Schlaf reißen und seine Worte wiederholen: es sei beeindruckend, wie sehr Chelsea Londons Trainer José Mourinho auf Huth setze. Vermutlich würde Huth allerdings auch dann so verwundert schmunzeln, wie er es Anfang der Woche tat. Denn Huth hat diese Saison ganze zwei Minuten für seinen Club gespielt. Der einzige Trainer, der derzeit auf ihn setzt, ist Klinsmann.
Der Bundestrainer hat den Innenverteidiger für seine Mission Weltmeisterschaft 2006 fest eingeplant; das wurde wieder deutlich, als er extra nach London reiste, um mit Mourinho Huths Situation bei Chelsea zu erörtern. Neuerdings hat sogar ganz Fußball-Deutschland Interesse an dem 20-Jährigen. Seit seinem überzeugendem Länderspiel gegen Brasilien, seinem zweiten, empfängt er ständig Medienanfragen. Interviews gibt er nicht so gerne, viel lieber ließe er sportlich von sich hören. Aber das darf er momentan nur in der Nationalelf. Bei Chelsea sitzt er meist auf der Reservebank oder auf der Tribüne. Und so ist dieser Tag, an dem drei Medienvertreter aus Deutschland angereist sind, das ZDF ihn als Mann des Monats kürt, sinnbildlich für Huths Situation. Denn gleichzeitig sind einige englische Journalisten anwesend, von denen nur ein Fernsehreporter die Gelegenheit nutzt, Huth ein paar Fragen zu stellen.
Huth galt schon lange als großes Talent – Chelsea lotste ihn als 16-Jährigen von Union Berlin nach London. Seinen ersten Profieinsatz hatte er mit 17. „Danach ist mir klar geworden, dass ich mithalten kann und wie sehr ich Fußballer werden wollte“, meint er. In eine deutsche Jugendauswahl wurde er nie berufen, was ihn mal zu der Aussage bewegte, der DFB möge ihn scheinbar nicht. Seit vergangenem Winter belohnt der DFB Huth nun für seine Geduld. „Überrascht“ ist er noch heute, gleich die U20-WM und die U21-EM gespielt zu haben. Gut ein halbes Jahr später debütierte er in der A-Elf, was besonders kurios ist, denn seither setzt man in London kaum noch auf den Verteidiger.
In Deutschland hat Huth den Vorteil, dass das Bundestrainerteam eine Denkweise entwickelt hat, die die Spieler zwei Jahre weiter in ihrer Entwicklung sieht. Denn der Fokus ist allein auf 2006 gerichtet. „Wenn man die Spieler nicht jetzt reinschmeißt, wann sonst“, fragt Huth. „Wir sollten lieber früher Erfahrungen und Fehler machen als bei der WM.“ Gegen Iran ist es möglich, dass eine Viererabwehr mit Huth, Per Mertesacker, Philipp Lahm und Andreas Hinkel mit einem Altersschnitt von knapp 21 Jahren spielen wird.
In London läuft es dagegen nicht mehr, obwohl sich Huth im Sommer noch Hoffnungen gemacht hatte – gerade durch den Trainerwechsel. Claudio Ranieri verhalf ihm vergangene Saison zum Durchbruch, setzte ihn in der Liga 20-mal ein. Nicht schlecht in einem Kader, der seit den Finanzspritzen des russischen Ölmilliardärs und Klubeigners Roman Abramowich einer der weltbesten ist. Unter José Mourinho hatte Huth sich noch bessere Chancen ausgerechnet, weil der jeden gleich behandele. „Ich habe mich anscheinend geirrt“, sagt Huth. Mourinho hat mit Terry, Carvalho, Ferreira, Gallas und Johnson fünf weitere Nationalspieler, die gerne auf Huths Position spielen. Mit den jungen Huth und Johnson als Reserve droht wohl der geringste Ärger, auch wenn er den Deutschen nach dem Brasilien-Spiel als einen der besten jungen Innenverteidiger der Welt bezeichnete und auch Huth merkt, dass ihn „die Spieler jetzt anders anschauen“. Und Huth bestätigt seinen Trainer sogar, denn er meint, dass eine Einsatzforderung „nicht so eine gute Entscheidung wäre. Er will eher sehen, dass junge Spieler den Mund halten und Fußball spielen.“ Desillusioniert wirkt Huth, denn er habe bei Chelsea „in den letzten drei Jahren nie eine faire Chance“ bekommen. Jedes Jahr müsse er sein Können aufs Neue beweisen, „irgendwann will ich auch mal zehn Spiele in Folge eine Chance bekommen und nicht sofort wieder aus dem Team raus sein, obwohl ich gut gespielt habe“. Das sei bei Mourinho, über den er ansonsten nur lobend spricht, genauso wie unter Ranieri – faktisch ist es sogar schlechter. „Aber“, will er immer wieder klarstellen, „ich beklage mich nicht.“
Bis 2006 kann Klinsmann nicht auf einen Spieler setzen, der fast ohne Wettkampfpraxis ist. „Man muss im Verein spielen, um bei Deutschland dabei zu sein“, sagt Huth. „Es macht keinen Sinn, hier auf der Bank zu sitzen und drei Spiele oder so zu machen. Wenn sich bis Weihnachten nichts ändert, werde ich auf den Verein zugehen und mir einen Vereinswechsel überlegen.“ Interessenten gibt es viele, „ich würde am liebsten in England bleiben“. Denn hier habe er sich eingelebt, „das alles zu verlassen, wäre problematisch“.
FELIX SEAMAN-HÖSCHELE