zwischen den rillen
: Öffnet die Höllentore des Alltags!

Ein Meisterwerk des weißen Blues: Tom Waits spielt auf seinem neuen Album „Real Gone“ Musik für Nachtschwärmer auf dem Land

Tom Waits zu mögen war nie leicht. Was nicht direkt an ihm lag – die Fans nervten. Ein Freund von mir, heute eine Größe der Berliner Elektronikszene, damals 17 Jahre alt und träumerisch, erzählte mir, wie es war zu Besuch in Berlin: „Wir haben fünf Tage in der Pension gesessen, Whisky getrunken, Waits gehört, Nebel draußen. Perfekt.“ Man verdrehte die Augen und schwärmte hinaus in die düstere amerikanische Großstadt ohne Namen.

Tom Waits’ Kultstatus überdeckte alle Alben der Achtzigerjahre, „Swordfishtrombone“, „Frank’s Wild Years“, in denen er seine gebrochene Stimme vom Klavier löste und in eine wilde, fordernde Mischung aus weißem Blues, weißem Jazz und Operette eintauchen ließ, in seinen Geschichten und mit seinem heiseren Gebrüll machte er Höllentore im Alltag auf. Tom Waits war für alle Spät- und Postpubertierenden ein Fluchthelfer, er half die Schwärmerei zu verlängern. Irgendwann allerdings wurde man erwachsen, und man ließ von diesem Kult ab, Waits selber zeigte 1992 mit „Bone Machine“, dass er in seiner Musikentwicklung andere Wege, hin zu noch mehr Rhythmus, noch mehr Nervigkeit gehen würde, mit „Big Time“, der Platte und dem zugehörigen abendfüllenden Werbefilm von 1988, hatte er den Zenit als Kult-Künstler überschritten.

Und das offensichtlich gern. Waits arbeitete weiterhin wie besessen, Musicals wurden geschrieben, Filmsoundtracks, dazwischen erschien, jetzt bei einem unabhängigen Label, „Mule Variations“, ein Album, das ihn erneut als einen ernst zu nehmenden Musiker jenseits aller Spektakelei präsentierte. Mit „Real Gone“, dem fünf Jahre später erscheinenden neuen Album, ist er endgültig frei von all dem Ballast, den ihm Kultfilme und Kultauftritte auferlegt hatten. „Real Gone“ ist, wenn man so will, ein Meisterwerk des „weißen Blues“. Es bietet eine Musik der Nachtschwärmer, die es, das ist neu, aufs Land verschlagen hat. Erste Fassungen der wieder gemeinsam mit seiner Frau, Kathleen Brennan, geschriebenen Songs soll Waits, so die Legende, in seiner Küche aufgenommen haben, und so klingen sie auch, heimelig, zurückgezogen, doch keineswegs provinziell.

Das Duo Waits/Brennan ist ungewöhnlich aufmerksam für die diversen Strömungen in der Musik, sodass sich zu vertrauten Elementen wie der manchmal fast nur gezupften, lang ausklingenden Slideguitar (auf vielen Stücken vom wunderbaren Marc Ribot gespielt) auch ein dem HipHop-Beat nicht unverwandtes percussives Element dazugesellt, ein Beat, der von Waits’ Stimme im Hintergrund gebellt ist, ein „Wu-Hah“, ins Mikrofon gehustet. Das Klavier fehlt ganz, hier gehen die Songs wieder in die Breite und in die Weite, sie sind nicht zum Mitsingen gemacht, nicht zum Mitfühlen. Man guckt eher auf ein fremdes Leben. Die Songtexte, die urbanen Lügen, mit denen sich Waits auf diesem Album beschäftigt, sind die alten, es ist einsamer Hobo-Scheiß, die westamerikanische Variante des Seemannsgarns. „I gonna take the sins of my father/ I’m gonna take the sins of my mother / … / Down to the pond /… / I’m gonna wash them /… / til the water runs clear.“ Doch gerade darin steckt eine zarte Poesie.

Tom Waits hat mit „Real Gone“ den Kreis zu den Alben aus den Achtzigern geschlossen, wo diese allerdings von großen Arrangements und der Kultfigur musikalisch gehemmt wurden, herrscht hier Konzentration und Reduktion vor. Wie immer, möchte man sagen, ist das Album melancholisch und wunderschön, nur stimmt dieses „wie immer“ ja gar nicht. Was schön ist.

JÖRG SUNDERMEIER

Tom Waits: „Real Gone“ (Anti/SPV)