Das Leben geht weiter – auch für dich, Ingrid, seufzte Günther

Die Telenovela bestimmt in Zukunft unser trostloses Leben. Zumindest glaubt dies das ZDF. Mit „Bianca – Wege zum Glück“ kämpft der Sender ab 1. November um Frauenherz und Quote. Der Fernsehroman, angelehnt an lateinamerikanische Seifenopern, ist frei von allen gesellschaftlichen Zumutungen und verspricht dafür wonnigen Eskapismus

VON CHRISTIAN BUSS

Rasi Levinas redet meist wie ein Theoretiker des Proletariats. Und manchmal auch wie ein Sektenführer. Er wirkt wie eine Mischung aus Karl Marx und Charles Manson. Seine Augen funkeln manisch über seinen Rauschebart hinweg, während er über das Prinzip der Serienproduktion doziert. Levinas ist der Chefautor der ZDF-Serie „Bianca – Wege zum Glück“ (Mo.–Fr., 16.15 Uhr), der ersten deutschsprachig produzierten Telenovela. Die Vorbehalte, die man gegen ein solches Unterfangen haben könnte, kennt er alle. Den Kitschvorwurf hört er am häufigsten. Und am liebsten. Denn er hat immer einen Konter parat. „Es ist doch so“, sagt Levinas, „wenn Sie im Film eine Frau sehen, die gerade ihre Mutter verloren hat und nun bei der Beerdigung im Regen steht, halten Sie das für Kitsch. Wenn Sie selber im Regen stehen und Ihre Mutter beerdigen, halten Sie das für wahrhaftig.“ Deshalb dürfe man keine Angst haben, Gefühle zu zeigen. „Ich glaube nicht, dass wir Plastik produzieren.“

Aufgeputztes Emo-Einerlei

Levinas redet viel von Plastik. Und von der kapitalistischen Logik des Unterhaltungsbetriebs. Mit beidem kennt er sich aus. Jahrelang fungierte er als Chefschreiber der ARD-Serie „Verbotene Liebe“. Produziert wird die Daily Soap von dem Medienkonglomerat Grundy/UFA, das unter anderem auch für die täglichen RTL-Einseifungen „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ verantwortlich ist und nun eben die Telenovela „Bianca“ für das ZDF herstellt. Grundy/UFA – keine andere Firma spült so schnell und so weich im deutschen Fernsehreich.

Levinas kennt die Produktionsbedingungen der täglichen Nachmittags- und Vorabendunterhaltung. Und er glaubt ganz fest daran, sie für seine Zwecke nutzen zu können. „Keine Frage, diese tägliche Serienproduktion ist extrem kapitalistischen Zwängen unterworfen. Aber gerade innerhalb dieser Zwänge geht es darum, den Leuten ein Höchstmaß an Kreativität herauszukitzeln.“

Kreativität klingt gut, Quote besser. Natürlich geht es bei „Bianca“ um Zahlen. Es geht aber auch noch um viel mehr. Die Serie ist ein Testlauf. In Zukunft werden die Sender weniger Geld für ihre fiktiven Formate ausgeben. Die Kassen sind leer, auch beim armen gebührenfinanzierten ZDF. Mit „Bianca“, der täglichen, 200 Folgen umfassenden Telenovela, soll nun ausprobiert werden, ob es zwischen den extrem trashigen Daily Soaps und herkömmlichen TV-Produktionen einen Mittelweg gibt.

Claus Beling, Hauptredaktionsleiter Unterhaltung/Wort beim ZDF, macht aus dem ökonomischen Hintergrund keinen Hehl: „Fernsehen, wie wir es bislang kannten, ist nicht mehr finanzierbar.“ Beling betreibt mit seiner Abteilung unter anderem das Radikal-Schmonzetten-Regiment am Sonntagabend, wo Zuschauerinnen jenseits der Menopause mit Bildern aus englischen Grafschaften in den Schlaf gewogen werden. Der ZDF-Gefühlszampano Beling nennt das „emotionales Erzählen perfektionieren“. Die Vorlagen für dieses aufgeputzte Emo-Einerlei liefert meist Rosamunde Pilcher. Deshalb spricht man auch schon von der „Pilcherisierung“ des Nachmittagsprogramms.

Wie eine Telenovela aus Brasilien oder Mexiko ist „Bianca“ um eine einzelne Heldin herumgebaut. Das Happy End, also die Heirat mit einem solventen Sympathieträger (Bankersohn!), ist obligatorisch. Bis dieses Happy End eintreten kann, muss die Titelheldin einige Ungeheuerlichkeiten durchstehen. Gesellschaftsrelevante Bezüge fehlen bei „Bianca“ im Gegensatz zu den lateinamerikanischen Vorbildern allerdings völlig. Während die brasilianischen oder mexikanischen Aschenputtels beim Hochfeudeln innerhalb des örtlichen Geldadels durchaus mit Phänomenen wie Aids oder Leihmutterschaft konfrontiert werden, muss sich Bianca in einem geschützten Hochfinanzbiotop lediglich mit ein paar intriganten Zicken rumschlagen. Auch dies ein geschickter Schachzug: Während in allen Nachbarprogrammen um diese Zeit in Krawall-Talks oder Gerichtsshows übel riechendes Instinktfernsehen geliefert wird, feiert man im ZDF ein von allen Zumutungen freies Wohlstandsfeeling.

Der Aufwand für diesen wonnigen Eskapismus ist enorm, setzt gar neue fernsehindustrielle Standards. Denn aufgrund des Cashflows können die 200 Folgen nur zu einem minimalen Teil vorproduziert werden, die Kosten vorzustrecken wäre unmöglich gewesen. So muss nach Serienstart am 1. November jeden Tag eine weitere Folge hergestellt werden. Hier haben die Angestellten der Grundy/UFA durchaus Rekordverdächtiges zu leisten. Während für Daily Soaps wie „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ täglich 25 Minuten runtergedreht werden, muss das „Bianca“-Team gut 42 Minuten sendefähiges Material liefern. Zudem gibt es viele Außenaufnahmen.

Künstlicher Welten Glanz

Christian Popp von Grundy/UFA frohlockt angesichts des „einzigartigen Looks, den wir kreiert haben“. Die Naturimpressionen, so Popp, harmonierten zu kostengünstigen Konditionen mit den Landschaften, die man etwa in den teuren Pilcher-Verfilmungen finde. Außerdem habe man die Bilder emotional aufgeladen. Im Zweifelsfall heißt das, dass in der Nachbearbeitung über alle Aufnahmen ein künstlicher Glanz gelegt wird. Mann kennt das aus Werbespots. Bei den Außenszenen hat man deshalb ständig das Gefühl, dass gleich ein Margarine-Fräulein ins Bild springt, um kalorienarmen Brotaufstrich zu preisen.

Hübsche Bildchen, extrem schnell gefilmt – diese Arbeitsweise ist der Hauptdarstellerin Tanja Wedhorn nicht ganz unbekannt. Die 33-Jährige hat bereits in der ZDF-Familienschmonzette „Die Nesthocker“ eine Hauptrolle gespielt. Das ist mehr, als alle Darsteller konkurrierender Daily Soaps behaupten können. Die kommen meist aus dem Nichts, moderieren irgendwann eine Castingshow und verschwinden dann wieder im Nichts. Tanja Wedhorn aber ist Profi, zumindest hat sie eine abgeschlossene Schauspielausbildung. Was ihr allerdings auch erst mal nicht dabei half, die besonderen Abläufe beim Dreh einer Telenovela zu verstehen. Etwas atemlos berichtet sie: „17 Szenen am Tag, das geht zack, zack, da darf man nicht zimperlich sein. Während die eine Szene gedreht wird, wird die zuvor gedrehte schon geschnitten. Wenn einer aus dem Mund sabbert, nehmen wir die Szene natürlich nicht.“ Ansonsten sei man tolerant gegenüber den Resultaten.

In zwei Dritteln aller Szenen ist Wedhorn zu sehen, meist arbeitet sie 14 Stunden. Und das mindestens noch jeden Werktag bis Sommer 2005. Wenn sie ernsthaft erkranken würde, hätte man ein Problem. Ihr Identifikationspotenzial mit der Rolle hält sich trotzdem in Grenzen. Warum macht sie mit? „Wegen der Herausforderungen.“ Zum Beispiel mit drei Kameras statt mit einer zu arbeiten. „Anfangs wusste ich gar nicht, welche gerade auf mich gerichtet ist“, sagt Wedhorn. „Ich dachte, da verpufft mein ganzes Spiel.“ Aber die holten sich die Bilder eben, wie sie sie brauchten. „Jetzt spiele ich einfach los.“

Und dabei wird sie eben auch von Rasi Levinas, dem kapitalismuskritischen Chefautor, und seinem Team beobachtet. In den Räumen der Skriptmalocher stehen Monitore, auf der sie die Dreharbeiten beobachten können. So soll ermöglicht werden, dass Eigenschaften bestimmter Schauspieler Eingang ins Drehbuch finden. Was zu Levinas’ vielleicht etwas zu optimistischem Credo passt, eine möglichst unverbrauchte Sprache des Gefühls zu finden. Aus diesem Grunde beschäftigt er auch ganz unterschiedliche Autoren. Ob sie schon mal an Drehbüchern gearbeitet haben, ist unerheblich. Auf Daily-Soap-Schreiber indes verzichtet er lieber. „Bei den Daylys gibt es keine innere Logik“, schimpft Levinas. „Alles ist austauschbar. Bei uns gibt es von Anfang an einen größeren festgelegten Erzählbogen, der nicht anarchistisch oder nihilistisch ist – sondern mit Bedeutung aufgeladen!“ Klingt gewaltig, dabei verlangt Levinas von seinen 12 Autoren erst mal nicht viel: Jeder Mitarbeiter seines Schreibcamps muss einmal „Sturmhöhe“ gelesen und zweimal „Doktor Schiwago“ gesehen haben.

Doktor Schiwago mal zwei

Vielleicht klingen deshalb die inneren Monologe so gestelzt, mit der die Heldin über den Schlamassel ihres Lebens reflektiert. „Wir selbst betrachten uns alle gerne mal als Helden unseres eigenen Lebens“, glaubt Levinas. „Wir erzählen es uns quasi selbst, mit der Sprache, die wir aus Filmklassikern oder Romanen kennen.“

Die Logik garantiert dabei die Mathematik. „Wir nutzen Computerprogramme, lassen uns zum Beispiel errechnen, wie oft Bianca ihre große Liebe in der Woche treffen darf“, erklärt Levinas. Aber auch die Kreativität will bewusst befördert sein. Deshalb rotieren die Autoren an ihren Arbeitsplätzen, jeder muss einmal das große Rad von Biancas Geschichte drehen. „Als Mensch trifft man vielleicht fünf oder sechs lebensbewegende Entscheidungen im Jahr: Trenne ich mich oder nicht? Fange ich wieder zu trinken an oder nicht?“, erklärt Levinas. „Für eine Storyline muss man innerhalb von einer Woche 200 solcher Entscheidungen für alle Figuren treffen.“ Jeder der Autoren müsse deshalb einmal die Storyline entwickeln. „Danach sind sie immer ganz erschöpft.“ Und je erschöpfter, desto zufriedener Levinas: „Weil ich sehe, dass sie mit ihren Figuren leben.“