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Archiv-Artikel

Lügen in Dunkelbraun

Andrew Bovells Drama „Lantana“ erzählt von den Kleinfamilienkatastrophen. Stephan Kimmigs Inszenierung am Thalia Theater ist spannend, baut aber leider auf Geschlechterklischees

von Katrin Jäger

Sonja (Judith Hofmann) hat „einen wunderbaren Job und zwei Kinder“. Scheinbar traumhafte Voraussetzungen für eine australische Kleinstadtidylle. Doch Sonja hat ihren Polizistengatten Leon (Markus John) verlassen, denn der ist fremdgegangen, mit Jane (Maren Eggert), in einer billigen Absteige. Diese Kleinfamilienkatastrophe beichtet Sonja einer fremdem Frau. Wie der dramatisch eingefädelte Zufall es will, handelt es sich bei der anonymen Beichtmutter ausgerechnet um eben diese Seitensprunggefährtin, Jane. Die ist ausgestattet mit den typischen Problemen einer Frauenzeitschriftenleserin: „Mir gefallen meine Fältchen um die Augen nicht.“ Ihren Mann Pete plagt das schlechte Gewissen. Denn auch er wäre fast im fremden Bett gelandet, zusammen mit Sonja.

Wie in aufgeklärten Beziehungen üblich, berichten die vier Eheleute einander schließlich von ihren erotischen Fremdambitionen. Doch diese Offenheit ist rein oberflächlich. Denn weder Sonja und Leon noch Pete und Jane vermögen ins Wesen ihrer missratenen Beziehungen vorzudringen. So reden und reden sie – und sagen nichts.

Regisseur Stephan Kimmig stellt die Paare zusammen auf die Bühne. Getrennt durch eine unsichtbare Wand führen sie ihre Beziehungsschmonzetten. Dass beide Paare dieselben Worte benutzen, regt zum Schmunzeln an, zeigt gleichzeitig aber das Drama des Mittelstandsmilieus: Es gibt kein authentisches Gespräch. Die Sätze scheinen geklaut aus Groschenromanen. Und das auch noch in einem rundum dunkelbraun holzvertäfelten Raum.

Das 70er-Jahre-Bühnenbild von Katja Haß verstärkt die klaustrophobische Stimmung. Die Mahagoniwände hören geduldig zu, wie die ProtagonistInnen sich in die Tasche lügen. Speaking in Tongues heißt deshalb auch der Originaltitel des Stücks des australischen Dramatikers Andrew Bovell. Den botanischen Zusatz Lantana erhielt seine Verfilmung von 2001. Filmregisseur Ray Lawrence inszenierte die Textvorlage als Leichen gespickten Psychothriller. Die erste Leiche liegt dort in einem hübsch bunt blühenden, aber dornigen und überaus giftigen Lantanabusch.

Auf Bühnentote verzichtet Thalia-Regisseur Kimmig. Sein metaphorisches Lantanagestrüpp heißt schlicht Gefühlschaos. Immer mehr Menschen sind darin verstrickt, ziehen sich gegenseitig dort hinein, vergiften einander ihre Seelen. Da bricht der Mahagonihöllenhimmel plötzlich auf, es regnet. Psychotherapeutin Valerie (Anna Steffens) jammert ins Telefon. „John! Wo bist du John? Ich habe Angst.“ Denn sie steht hilflos mitten in der Nacht mit Autopanne auf der regennassen Landstraße. Voller Verzweiflung, bis ein zweiter Mann, Nick (Andreas Döhler), vorbeifährt und sie einsammelt. Als der eine Abkürzung nimmt, gerät sie in Panik, springt an seinem Baumstammkörper hoch wie ein behindertes Eichhörnchen. Warum hat die Seelenexpertin nicht den ADAC oder die Polizei angerufen, um sie sicher von der einsamen Landstraße zu holen, wenn sie solche Angst vor fremden Männern hat? Schon ihr telefonisches Klammern an den Ehemann als Retter ist unlogisch und letzlich nur so zu erklären, dass die Geschlechtertradition die Handlung hier eingeholt hat: Die Frau hat hysterisch zu sein, basta.

Logisches Denkvermögen ist den Männern vorbehalten, beispielhaft dafür: Polizist Leon, der sich scharfsinnig an den Fall Valerie heranpirscht, sich dem verlogenen Ehemann John gegenüber dabei jedoch gleichzeitig menschlich und einfühlsam zeigt. Und zwar, weil er an einer Ecke Verständnis dafür hat, dass John seine Frau mit Sarah (Susanne Wolff), einer ihrer Klientinnen, betrügt. Männerbünde.

Die Frauen schaffen das nicht. Sarah setzt ihrer Therapeutin Valerie Hörner auf, ist aber selber verrückt. Sonja fuchtelt nur in der Luft rum, als sie Leon eine Ohrfeige verpassen will, während Pete die Wange seiner Frau dagegen gezielt trifft. Gut, dass diese Klischees nicht der Wirklichkeit entsprechen.

2., 9., 21., 22. und 29.11., 20.00 Uhr, Thalia Theater