: Sozialforum will Senat die Suppe versalzen
Das Sozialforum Berlin will nicht nur ein eigenes Domizil, sondern auch den Sozialabbau in diesem Land bekämpfen. Zu einer Versammlung am Wochenende strömten rund 100 Aktivisten. Großdemonstration am 1. November
Irgendwann werde der enger geschnallte Gürtel sich um ein Skelett legen, meinte eine Teilnehmerin der so genannten Notversammlung, die das Berliner Sozialforum am Wochenende in Kreuzberg veranstaltete. So drastisch hätte die fortschreitende Verarmung weiter Teile der Bevölkerung nicht formuliert werden müssen. Sinnfälliger war da eher, dass die Suppe, für die die Teilnehmerin angestanden hatte, versalzen war.
Noch allerdings mussten die etwa 100 Interessierten, die die Notversammlung des Forums linker Gruppen, das ein eigenes Domizil in Kreuzberg anstrebt (die taz berichtete) besuchten, die versalzene Suppe selbst essen. Das soll nicht so bleiben, deshalb trafen sie sich. Es geht um viel: um Protest gegen die Agenda 2010 und den Abbau des Sozialstaats. Um Auflehnung gegen die Berliner Haushaltskürzungen zu Lasten der sozial Schwachen und um die Demontage der kommunalen Infrastruktur Berlins. Die Leute, die zur Notversammlung kamen, eint die Einsicht, dass die Umverteilung von unten nach oben, von Arm zu Reich falsch ist.
Und sie betrachten den Berliner Haushalt als Paradigma für Ungerechtigkeit. Deshalb wollen sie den zersplitterten Protest zur Berliner Politik bündeln. Das Abgeordnetenhaus müsse etwa mit „fürsorglichen Belagerungen“ oder anderen Ungehörigkeiten rechnen, wenn es demnächst den Haushalt 2004/05 beschließt, so Michael Hammerbacher, einer der Initiatoren der Notversammlung.
Dabei verschließen sich die Akteure nicht der Erkenntnis, dass nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen Republik derzeit kaum Massenproteste gegen soziale Ungerechtigkeit zu bewerkstelligen sind. Das liegt auch daran, dass die alten Sozialwächter, wie Gewerkschaften und linke Parteien, ihre Fahnen lediglich in den Wind halten. Das Berliner Sozialforum will deshalb, so Hammerbacher, eine Verknüpfung der globalisierungskritischen Bewegung mit lokalen und regionalen Gruppen erreichen. Der zersplitterte Protest, mal von Kindergärtnerinnen oder SchülerInnen, mal von StudentInnen oder Arbeitslosen, mal von Behinderten oder MigrantInnen, müsse zusammenkommen. Wenn die etablierten Vereinigungen den Protest nicht mehr multiplizierten, brauche es dafür eine andere Basis. Denn genug Leute aus den Parteien, Kirchen und Gewerkschaften haderten mit der Stillhaltepolitik ihrer Organisationen.
Das Berliner Sozialforum will so „ein politischer Ort für politische Akteure sein“, sagt Hammerbacher. „Der Prozess der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen der Gruppen wird Teil der Entwicklung von Alternativen sein.“
Um die geht es. Warum sich die Privatisierung von Landeseinrichtungen als Nonplusultra einreden lassen?, fragt Gerlinde Schermer vom linken SPD-Donnerstagskreis. Sie führt in ihrem Vortrag auf der Notversammlung aus, dass der Verkauf der Wasserbetriebe ein Minusgeschäft für den Berliner Landesaushalt ist.
Warum beispielsweise nicht radikal umdenken?, fragt Kali Balcerowiak von der Initiative „Arbeitsmarkt von unten“. Statt Geld in Profiling und Verwaltung der Arbeitslosen zu stecken, gelte es, zu recherchieren, was diese eigentlich in ihrer Arbeitslosigkeit tun. Vielfach seien sie ehrenamtlich tätig, passten auf Kinder auf, strichen Schulen, besuchten Alteneinrichtungen. Machten also etwas, was gesellschaftlich notwendig, aber nicht entlohnt sei. „Warum das Arbeitslosengeld nicht als Teil der Entlohnung verstehen, anstatt es in deren Überwachung zu stecken?“
Dieser Gedanke ist nicht wirklich neu. Was bei vielen Vorschlägen auf der Notversammlung ebenso der Fall ist, sei es zu Gesundheitsfragen oder zu Bildung. Die Alternativen sind bekannt, warum aber liegen sie auf Eis? Die Notversammlung soll der erste Schritt sein, dass das nicht so bleibt. „Realutopien sind nicht unrealistisch“ lautet ein Motto. Und die nächsten Schritte? „Die Großdemo gegen Sozialabbau am 1. 11. in Berlin unterstützen“, sagt eine Akteurin. „Den Berliner Haushalt unter die Lupe nehmen“, sagt ein Student. „Zum Europäischen Sozialforum nach Paris fahren“, sagt ein Aktivist. WALTRAUT SCHWAB