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Archiv-Artikel

Gottes Wort fährt in den Himmel

Auf dem Hamburger Frühlingsdom bieten die Kirchen den Fahrgästen eine spirituelle Gondelfahrt mit dem Riesenrad an. 250 ehrenamtliche Helfer reden über Himmel und Hölle, Aids und Glauben, Alter und Tod. Das Projekt gilt als Testlauf für weitere Kirchenkreise in Deutschland

„Das war voll unheimlich, mich hat einer angesprochen ob ich schon mal an den Tod gedacht habe“

VON JOSEPH VARSCHEN

Er lehnt gelangweilt am Tresen seiner Schießbude und nippt an einer Blechtasse Kaffee. Ausdruckslos guckt der Budenbesitzer die leere Straße mit den bunten Fassaden der Imbisse, Losbuden und Fahrgeschäfte hinunter. Zwei junge Männer hocken auf dem Dach vom Kartenhäuschen der Wasserbahn und fummeln an den Kabeln der Leuchtreklame. Es ist kurz vor 15 Uhr und das Wetter ist sonnig, doch der Frühlingsdom scheint nahezu menschenleer – bis auf das Riesenrad. Kinderstimmen wabern durch die Gasse. Der Schießbudenbesitzer stellt seine Tasse hinter den Tresen und geht zur Straßenecke. Vor dem Riesenrad steht eine große Menschentraube. Ein Kinderchor krakeelt: „Ich bin ein kleiner Pinguin und wohn’ in der Antarktis“.

Die sich überschlagenden Kinderstimmen eröffnen die Aktion „Himmelwärts“. Ein Pilotprojekt der Hamburger Kirchenkreise, um „Glauben und Warmherzigkeit“ auf dem Dom zu verbreiten. „Fahr’ mit der Kirche im Riesenrad“ prangt auf großen Kunststoffplanen über dem Kinderchor.

Zwei Jahre lang haben die Organisatoren der St. Petri-Kirche sich auf diesen Tag vorbereitet. „Erst wollten wir eine große aufblasbare Kirche aufstellen oder uns auf dem Mittelaltermarkt präsentieren“, sagt Ulrike Murmann, Pröpstin des Kirchenkreises Alt-Hamburg, „aber wir wollen ja modern wirken“.

Fast 300 ehrenamtliche Mitarbeiter wurden mobilisiert, um das Fahrgeschäft zu besetzen. 27 der 38 Gondeln werden von 15 bis 24 Uhr von Vertretern beider Konfessionen schichtweise besetzt. Jede Gondel hat ein spezielles Thema: von Aids-Seelsorge, über Himmel und Hölle bis zu Glaube, Alter und Tod ist alles dabei. Die religiösen Schichtfahrer wollen mit den Fahrgästen ins Gespräch kommen und ihnen zeigen „wofür unser Herz schlägt“, sagt Pastor Rolf-Dieter Seemann. „Ich bin gespannt, wie das Programm speziell am Abend vom Domvolk angenommen wird.“

Nur zwei Euro statt der üblichen vier müssen die Fahrgäste zahlen. Die Gondeln werden sehr langsam beladen. Viele warten nun schon eine Dreiviertelstunde. Die Wartenden wippen zum Takt eines eigens produzierten schlagerartigen Soundtracks. „Mit dem Kirchenschiff am Elbestrand, wo ich Glaube, Liebe und Hoffnung fand / In diesem Rad geht’s himmelwärts, komm steig’ ein am 27. März“, klingt es etwas zu laut aus den Boxen, die die Gruppe einkreisen. Die Besucher scheinen den Stress der Organisatoren nicht zu bemerken. „Wir bekommen das Rad nicht richtig ausgewuchtet, es muss immer über Kreuz beladen werden“, sagt Seemann, der Ideengeber der Aktion.

Zu allem Überfluss drängt sich eine Formation Kinder vor die Gondeln – noch ein Kinderchor. Sie singen „Lollipop“ von den Chordettes. Eine dralle, großzügig geschminkte Frau mit roten Haaren begleitet den Chor eifrig auf einem Schifferklavier. Das Publikum steht ratlos davor.

Am späten Nachmittag scheint das Chaos der ersten Stunden überwunden. Roswitha Schneider fährt für das Freiwilligen-Zentrum Hamburg. Wer bei ihr einsteigt, bekommt zur Begrüßung eine Zuckerstange. „Für liebe Menschen gibt es erst mal etwas Süßes“, sagt sie. „Glücklich machen macht eben glücklich und wer Zeit hat, bekommt bei uns viele Möglichkeiten anderen zu helfen.“ Sie sitzt zusammengekauert im Pelzmantel auf der Holzbank der Gondel. Es ist kalt. Besonders oben weht ein scharfer Wind. „Das ist jetzt mein dritte Runde und ich freu’ mich schon auf einen Kaffee“, sagt sie.

Es ist Dunkel geworden und der Frühlingsdom pulsiert im Lichterspiel der Attraktionen. Es sind jetzt viele junge Leute unterwegs. Die Straßen voll von Partyvolk. Ein junges Pärchen geht am Riesenrad vorüber und ist erstaunt über die langen Schlangen. „Guck mal die Leute haben da sogar Bock drauf“, sagt sie entsetzt. „Sitzen die da jetzt drin und quatschen dich zu oder was“, antwortet ihr Freund verständnislos. Sie stellen sich ans Ende der Schlange.

In den Gassen zwischen den Spielbuden machen zwei junge Frauen im Engelskostüm auf die Aktion aufmerksam. „Die Kinder wollen uns fliegen sehen“, sagt Jenny Offen. Sie trägt große weiße Federflügel auf dem Rücken. Sie seien von einer Engelagentur und überall tätig, wo sie gebraucht würden. Mit einem Stapel Flyer in der Hand verschwinden sie im Menschengetümmel.

Zwei junge Männer kommen mit Bierflaschen in der Hand aus der Gondel geklettert. „Was mit der Kirche im Riesenrad? Nee, ich war da mit meinem Bier drin“, sagt einer der Männer, während er sich auf seinen Freund stützt. Der fügt hinzu: „Wir kommen nicht aus Hamburg, aber die haben uns gesagt wo man hier die besten Kneipen findet.“

Oben ist es still, kalt und windig. Mindestens drei Runden dreht die Gondel pro Fahrt – 15 Minuten Zeit zum Reden. „Betrunkene sollten eigentlich gar nicht in die Gondeln gelassen werden“, sagt Roswitha Schneider. „Für den Notfall haben wir alle ein Handy, mit den Nummern der Domwache und der des Betreibers dabei.“

Am Ausstieg werden die Gäste von Lukas Wendemeyer mit einem Fragebogen empfangen. „Wir werten das intern aus, um den Erfolg der Aktion einschätzen zu können“, sagt er. Eine Frau mit Kopftuch verlässt das Riesenrad. „Das war langweilig“, sagt sie. Ich hab’ keine Ahnung was die von mir wollten.“

Die nächste Gondel entlässt eine aufgedrehte Gruppe Jugendlicher. Ein junges Mädchen mit Lederjacke sagt: „Schöne Aussicht, aber als wir ganz oben waren fängt der Typ an, über den Tod zu reden. Geht’s noch? Ich hab Höhenangst.“

Bei manchen löst die Aktion auch Verwirrung aus. Weil die Werbeplakate im Lichtermeer der Nacht untergehen, bemerken viele die Kirchenaktion gar nicht. „Das war voll unheimlich, mich hat einer angesprochen ob ich schon mal an den Tod gedacht habe“, sagt ein überraschter Fahrgast.