Feuer auf den harten Krieger

Der amerikanische Vizeaußenminister Paul Wolfowitz gerät in seinem Bagdader Hotel unter Raketenbeschuss

„Diese Anschläge verhindern die Rückkehr zum normalen Leben“

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

„Wir haben die Lage unter Kontrolle“, hatte US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz noch vor wenigen Wochen vor dem Verteidigungsausschuss des US-Kongresses erklärt. Sonntag Morgen, kurz nach sechs Uhr, gab es für Wolfowitz ein rüdes Erwachen, als mehrere Raketen in das Bagdader Raschid-Hotel einschlugen, in dem der zweite Mann des Pentagons während seiner Irakvisite gerade nächtigte. Wolfowitz blieb unverletzt. Ein Amerikaner starb, fünfzehn wurden leicht verletzt. Wenige Stunden später wurde in der Nähe ein auf einen Lastwagenenanhänger montierter als Stromgenerator getarnter Raketenwerfer gefunden.

Wolfowitz’ Besuch im Irak sollte die Moral der Truppe stärken. Jetzt aber trat ein sichtlich erschütterter US-Vizeverteidigungsminister vor die Presse, um den Anschlag trotzig als „verzweifelten Akt von Kriminellen“ abzustempeln. Allein während des ersten Tages des Irakbesuchs von Wolfowitz, einem der ideologischen Architekten des Irakkriegs, waren 32 amerikanische und britische Soldaten bei Anschlägen in Bagdad, Ramadi, Feludscha und Basra verletzt worden. In Tikrit war eine Stunde nach Wolfowitz’ Abreise ein US-Hubschrauber abgeschossen worden.

Das Raschid-Hotel, Hauptquartier der CIA in Bagdad und Sitz amerikanischer Firmen, die mit dem irakischen Wiederaufbau beauftragt wurden, gleicht einer Festung. Mit Betonmauern und Stacheldraht ist das Gebäude weiträumig abgesichert. Auf der westlichen Seite sind die auf vier Stockwerke verteilten Einschläge zu sehen. Die obersten Stockwerke, wie das zwölfte, in dem sich Wolfowitz aufgehalten haben soll, sind unversehrt geblieben.

Die Amerikaner haben sich hinter den dicken Betonmauern eingeigelt. Nur kurz taucht ein US-Offizier mit einem Megafon auf, und schickt eine Gruppe von gut hundert Irakern, die als Übersetzer und Hotelangestellte zur Arbeit erschienen sind, wieder nach Hause. „Derartige Attentate sind nicht die Lösung für unsere Probleme, wir sollten friedlich gegen die Besatzung protestieren“, meint Haider Jawad Jumaa, der vor dem Stacheldraht wartet, weil er fuür eine islamische Hilfsorganisation arbeitet und sich eigentlich gelegentlich mit den US-Verwaltern hier koordinieren müsste. Die 24-jährige Studentin für englische Literatur, Marwat Hussein, hätte eigentlich an diesen Morgen ein Bewerbungsgespräch für eine Job als Übersetzerin bei den Amerikanern gehabt. „Diese Anschläge verhindern, dass wir wieder zu unserem normalen Leben zurückkehren“, sagt sie sichtlich enttäuscht. Ihre Freundin Zahar Ibrahim ist gekommen, um für ihre kleine Baufirma einen Auftrag zu ergattern. „Das ist kein guter Auftakt für den heiligen Fastenmonat Ramadan“, meint sie.

Das sieht Abu Hassan (Name geändert) ganz anders. Er lebt wenige hundert Meter vom Raschid-Hotel entfernt. Es sei ein guter Morgen gewesen, erklärt er. Bei der ersten Explosion sei er mit den anderen Hausbewohnern aufs Dach gegangen, um dort jeden einzelnen Einschlag zu feiern, sagt er noch immer sichtlich enthusiastisch. Abu Hassan, früher Mechaniker bei der irakischen Luftwaffe, ist heute arbeitslos. Die militärische Erfahrung vieler ehemaliger Mitglieder der aufgelösten irakischen Armee findet jetzt oft gegen die Amerikaner Verwendung. Wenn er gefragt würde, er würde sich, ohne zu zögern, dem Widerstand anschließen, verkündet Abu Hassan. Erst vor einem Monat sei von dieser Straße aus das Raschid-Hotel mit Mörsern angegriffen worden, erzählt er stolz, während vor dem Haus drei amerikanische Jeeps mit aufgepflanzten Maschinengewehren die Straße entlangfahren. „Schau sie an, sie fahren hier jeden Tag rund um das Hotel, aber den Angriff konnten sie nicht verhindern“, sagt Abu Hassan und grinst. Im gleichen Haus wohnt Sadijah Al-Fayyar. Auch sie spricht begeistert vom „irakischen Widerstand, der wachsen wird, bis der letzte US-Soldat das Land verlassen hat“. Und wie soll das weitergehen? Abu Hassan und Sadijah halten beide inne, um untereinander zu diskutieren. Bleiben die Amerikaner, ist der Irak weiterhin ein von einer fremden Armee besetztes Land; ziehen sie überstürzt ab, bricht womöglich ein Bürgerkrieg aus. „Um ehrlich zu sein“, sagt Sadijah am Ende, „wir wissen nicht, was wir wollen: Sollen sie bleiben oder gehen?“