: „Weißt du, Bremen ist eine kleine Stadt“
Der Bremer Gerd Augustin polemisiert im Offenen Kanal rücksichtlos gegen die Bremer Verhältnisse. Jetzt hat er einen Maulkorb bekommen. Weil niemand in der Stadt so deutlich über Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch spricht wie er, lässt die taz ihn hier zu Wort kommen
taz: Seit 10 Jahren regiert die große Koalition in Bremen – was ist der wichtigste Erfolg der Regierungsarbeit in dieser Zeit? Gerd Augustin: Ja, dass sie alle noch dabei sind, allen voran Henning Scherf und der CDU-Vorsitzende Bernd Neumann. Wir haben natürlich auch ein paar Bauruinendenkmäler für die nächsten tausend Jahre hier stehen.
Bremen sollte als eigenständiges Bundesland gerettet werden…
… Richtig, der Schuldenberg wird immer größer. Wir ahnen wahrscheinlich gar nicht, wie viel da hin- und hergeschoben wird, zufällig ist das nun aufgeflogen mit der Eon-Kohle. Die 15 Millionen an die IUB und die 500.000 für die Grass-Stiftung.
Henning Scherf sagt, das könne der Senat ganz allein entscheiden, was mit diesen Geldern passiert.
Richtig. Scherf denkt wohl, wir sollten uns freuen, dass er zugegriffen hat. Sonst wäre es am Ende für soziale Projekte oder Kultur ausgegeben worden.
Aber die Grass-Stiftung ist doch Kultur…
Hat mit Bremen aber überhaupt nichts zu tun. Dem Kito werden 150.000 Euro gestrichen, weil wir ja überhaupt kein Geld mehr haben in Bremen. Und in derselben Zeit, wo wir kein Geld haben, schweben 500.000 Euro durch den Raum Richtung Grass-Stiftung. So etwas geht nur, wenn einer ganz allein über die Kohle entscheiden kann und sagt: Meine Freunde, die kriegen reichlich, und im Kito habe ich keine Freunde.
Die kleine Opposition der Grünen hat versucht, den Chef von Scherfs Senatskanzlei, Reinhard Hoffmann, deswegen abzuschießen.
Aber der „spiritus rector“ dieser Geschichte ist Henning Scherf, nicht der Hoffmann.
Niemand erhebt seine Stimme gegen Scherf in Bremen.
Weißt du, Bremen ist eine kleine Stadt, wo jeder jeden kennt. Klar gibt es viele, die eigentlich wollen, dass er abtritt, aber die kriegen nichts auf die Reihe. Tut mir leid, dass ich das sagen muss, weil ich ja selbst so ein überzeugter Sozialdemorat bin. Alle, die durch die Partei in ihre Ämter gekommen sind, werden einen Teufel tun und ihr eigenes Nest beschmutzen. Die haben Angst. Unter den neuen Leuten gibt es keine wirklich mutigen in der SPD.
Henning Scherf hat erklärt, seine Kronprinzen Jens Böhrnsen und Willi Lemke hätten ihn gebeten, weiter zu machen.
Wieso eigentlich Kronprinzen? Das sind arme Kerle, die ihre Klappe zu halten haben und warten müssen, bis der alte König abkratzt. Aber er kratzt nicht ab. Also müssen sie warten, bis sie selbst ins Altersheim kommen. Und das sollen sie so toll finden, dass sie ihn noch darum bitten?
CDU-Chef Bernd Neumann hat ja erklärt, Scherf müsse noch so lange bleiben, bis 500 Millionen Euro für den Kanzlerbrief eingelöst sind.
Ich weiß nicht, ob die Jungs wirklich über diesen blauen Brief reden. Vielleicht sitzt der auch mit dem Schröder zusammen und erzählt ihm ein paar Geschichten davon, wie toll es in Bremen ist und seine Enkelkinder und überhaupt, dass er nur noch heißes Wasser trinkt. Ihr seid doch ziemlich links, zeitungsmäßig. Warum reißt ihr denn nicht mal das Maul richtig auf?
Wir sind eine kleine Zeitung.
Ich weiß. Da muss der Furz schon sehr stinken, damit andere den zu riechen kriegen. Habt ihr den Bericht im Fernsehen in „Kontraste“ gesehen? Die Vergabe von Kohlen in Bremen wurde da beschrieben, Space Park, Musical, Rennbahn und so weiter. Und die haben auch gefragt: Wer ist eigentlich verantwortlich dafür.
Und? Was war die Antwort?
Keiner. Keine Antwort. Wenn etwas schief läuft, wirst du nie jemanden finden, der die Verantwortung dafür übernimmt. Scherf hat sich wunderbar herausgeredet: Das sind ja alles die Bemühungen der großen Koalition, diese Stadt wirtschaftlich wieder so auf die Beine zu stellen, dass man langfristig dann gut dasteht. Kurzfristig haben die zehn Milliarden Sanierungshilfe leider nichts gebracht, die Schulden sind leider nicht gesunken. Ich sage: Es sind ja nicht nur die Hattigs verantwortlich oder die Perschaus, sondern auch Scherf. Trotz der Flops steht er ganz unangefochten ganz oben.Interview: Klaus Wolschner