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Archiv-Artikel

Mehr als zwei Steinwürfe vom Miteinander

Das Café Posithiv verlässt den Alvensleben-Kiez – wegen wiederholter Übergriffe. Die Polizei wiegelt ab

Nach dem 11. September habe alles angefangen, sagt Michael Grady. Das Trommeln an Fensterscheiben und Türen. Die Verwüstungen im Innern. Ja, auch dass Getränkebecher, Flaschen und Pflastersteine geworfen wurden. Als „immer aggressiver“ beschreibt er die Übergriffe auf das Café Posithiv: „Das ist nur noch Hass.“ Pöbeleien habe es vorher auch gegeben. Aber unerträglich sei es erst nach den Anschlägen in New York geworden. „Die terrorisieren uns.“ Dabei seien sie doch selbst eine Minderheit, jung und „südländisch“, würden selbst „verfolgt“. Grady ist einer der ehrenamtlichen Betreiber der Selbsthilfeeinrichtung für HIV-Positive und Aidskranke in der Schöneberger Alvenslebenstraße. „Jetzt hilft uns nur ein bezahlbarer neuer Laden, in einer angenehmen Lage“, so sein Resümee. Wenn sich etwas findet, zieht das Café um.

Ingo Nürnberger glaubt, dass manche Verantwortlichen nicht alles anders hätten machen müssen, aber vieles besser. Der SPD-Politiker sitzt dem Sozialausschuss im Bezirk Tempelhof-Schöneberg vor. Er hat eine Initiative ins Leben gerufen, die sich nachhaltig mit der Sache befassen soll. Mit dem ganzen Kiez. Die türkischstämmige Parteikollegin Dilek Kolat will „in die Community hineinwirken“, aus der die jugendlichen Täter wohl stammen. Der SPD-Abgeordnete Frank Zimmermann trifft sich zu Gesprächen mit der Polizei. Bisher habe man sich zwar auch gekümmert, an vielen runden Tischen, so Nürnberger. „Da sind aber Fehler passiert“.

Die Café-Betreiber würden ihm sicher beipflichten. Als man ihnen riet, sich offensiv zu zeigen, mit einem Stand beim Straßenfest, wurden sie von Kindern bespuckt, geschlagen und als „schwule Sau“ beschimpft. Die Eltern standen lachend daneben. „Gewalt gegen Schwule ist ein ernstes Problem“, so Nürnberger.

Henry Maiwald vom Präventions- und Ermittlungsteam der Polizei weist dagegen darauf hin, dass „der Schuster dort genau die gleichen Probleme hat“: Jugendliche, die sich auf der Straße herumtreiben und „bedingte Straftaten“ begehen. „Wenn das Café wegzieht, hört das hier nicht auf“, vermutet Maiwald. „Dann belästigen die eben eine alte Dame als ‚Nazi-Nutte‘. “ Es gehe nicht so sehr um Schwule als Schwule, sondern um Schwule als Schwache, um ein Gefühl von Macht. „Ein Achtjähriger haut gegen eine Scheibe, und 20 Erwachsene haben Angst.“

Die Idee der Cafébetreiber, Beamte in Zivil einzusetzen, hält er nicht für umsetzbar. Dafür müssten laut Maiwald systematische Straftaten geschehen. Der Polizei seien beim Café Posithiv „innerhalb von zwei Jahren zwei Vorfälle bekannt, wo Steine geworfen wurden“. Der Rest bewege sich „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“. Dann müsse man die Grenze eben verschieben, sagt Grady: „Viel schneller verurteilen und viel härter.“ Was man eben so fordert, nach dem 11. September. JOHANNES GERNERT