: Ein bisschen Marx muss sein
Eine Woche vor Beginn des Winterhalbjahres startete gestern die Orientierungswoche für Erstsemester an der Uni Bremen. Neben Infos zu Studenplänen und Fachbereichen gibt’s dort auch Nachhilfestunden in bremischer Revolutions-Geschichte
Bremen taz ■ Die akademischen Tüten-Packer kommen ganz schön ins Schwitzen. 2.000 so genannte Hochschultüten haben sie an diesem Vormittag befüllt. Nun sind die schon wieder vergriffen. Das große Packen geht weiter. Rund 4.300 Erstsemester – im Folgenden „Erstis“ genannt – beginnen in diesen Tagen ihr Studium an der Uni Bremen. Die Tüten finden reißenden Absatz. Der Inhalt: Kugelschreiber, Freikarten für Kino und Museen und jede Menge Flyer. Banken und Krankenkassen wollen den Erstis ihre Leistungen andrehen. Denen dürfte damit klar sein, dass der Ernst des Lebens tatsächlich begonnen hat. Noch aber freuen sie sich über das Gelumpe in Tüten. Noch ist alles neu, alles spannend und alle sind für alles offen.
Damit die Erstis aber nicht gleich ins kalte Wasser geschmissen werden, veranstaltet die Uni noch bis nächsten Dienstag eine Orientierungswoche. Erst dann beginnen Vorlesungen und Seminare. Gestern präsentierten sich im Mehrzweckhochhaus „MZH“ die verschiedenen universitären Einrichtungen von der Uni-Bibliothek bis hin zur studentischen Christen-Gruppe. Letztere verteilt Survival-Pakete mit Teelicht, Streichhölzern und Teebeutel. Noch mehr Zeug, das man in die Schultüte packen kann.
Viel Tee wird in diesen Tagen auch im Couch Café im „Glaskasten“ getrunken. Doch Hochschultüten sieht man dort nur selten. Mit jeglichem Sponsoring haben die Leute vom Referat für ErstsemesterInnenarbeit des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) nichts am Hut. Sie wollen den Erstis eine differenzierte Sicht auf die Welt vermitteln. Beim unikritischen Rundgang wurden neben Café und Tabakautomaten auch die Institute gezeigt, in denen Affenversuche gemacht werden, und die schicken Gebäude, die DaimlerChrysler den angehenden Ingenieuren spendiert hat.
Das Grüppchen, das sich im AStA-Raum versammelt, ist überschaubarer als die Menge, die ein paar Meter weiter die Infostände belagert. Gleich werden Tobias Jaletzky und Niels Kalin ein Referat über die Geschichte der Uni halten. Ein bisschen Wehmut liegt im Raum, als sie von der Zeit berichten, als die Hochschule noch als „rote Kaderschmiede“ verschrien war.
„Wer ist denn Mescalero?“ fragt eine Studienanfängerin. Soziologe Jaletzky gerät ins Stocken, doch Pädagoge Kalin weiß Bescheid und redet von RAF, Jürgen Trittin und dem Buback-Nachruf. Auch unter der „Kapital“-Lesegruppe kann sich eine Erstsemester-Dame wenig vorstellen. Wer ahnt auch, dass es noch Studierende gibt, die sich ganz freiwillig durch die Marx/Engels-Schriften quälen. Doch: „Der AStA soll auch zur politischen Bildung beitragen“, erklärt Jaletzky. Bei Fragen, wie man einen Stundenplan baut oder was eigentlich eine Semesterwochenstunde ist, verweisen die Leute vom Referat lieber auf die Fachschaften. „Wir wollen den Blick dafür öffnen, was sonst noch so an der Uni abgeht“, sagt Melike Lülle vom ASta.
Ebbe Volquardsen