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Archiv-Artikel

„Der neue Sprachtest ist ein Rückschritt“

Der Sprachwissenschaftler Sven Walter kritisiert „Deutsch Plus“, weil nicht erhoben wird, in welchen Bereichen ein Kind gefördert werden muss. Auch mangele es in den Kitas weiter an kontinuierlicher Sprachförderung in kleinen Gruppen

taz: Herr Walter, Bildungssenator Böger hat gestern ein neues Verfahren vorgestellt, mit dem die Deutschkenntnisse der künftigen Erstklässler getestet werden. „Bärenstark“ ist out, „Deutsch Plus“ ist in. Ist der neue Test besser?

Sven Walter: „Deutsch Plus“ hat einen Vorteil: Es muss nicht für jedes Kind in Gänze durchgeführt werden. Wenn die Einschätzung schnell eindeutig ist, kann das Verfahren abgebrochen werden. Generell aber halte ich den Wechsel zu „Deutsch Plus“ für einen Rückschritt: Dieses Verfahren verzichtet darauf, differenzierte Förderbereiche zu erheben. So kann man zwar feststellen, ob ein Kind Förderbedarf hat, aber nicht, in welchen Bereichen.

Die Bildungsverwaltung argumentiert, das könnte in den Sprachkursen innerhalb der ersten zwei Wochen ermittelt werden.

Über die Konzepte und Methoden dieser Sprachförderkurse ist bislang so gut wie nichts bekannt, deshalb haben wir großen Zweifel, ob da etwas Solides herauskommt. Ein weiteres Problem ist, dass „Deutsch Plus“ den Schwerpunkt auf das Sprachverständnis legt. Um sich am Unterricht beteiligen zu können, brauchen die Kinder aber die aktive Sprachfähigkeit. Außerdem wird grammatische Korrektheit für unwichtig gehalten. Das ist falsch. Für das richtige Verständnis des Lehrers brauchen die Kinder eine gewisse grammatische Kompetenz. Sechs- bis Siebenjährige beherrschen die Grammatik ihrer Erstsprache im Normalfall weitestgehend korrekt.

Die Kinder, die Deutschförderung benötigen und nicht in eine Kita oder die Vorklasse gehen, müssen künftig einen halbjährigen Sprachkurs mit täglich zwei Stunden absolvieren. Reicht das?

Das kann die Kinder bestenfalls an die deutsche Sprache heranführen. Das trifft aber auch nur auf eine verhältnismäßig kleine Gruppe zu, die meisten Kinder in Berlin besuchen eine vorschulische Einrichtung. Wichtig ist, was in den Kitas passiert.

Und was passiert da? Sind die Kitas auf dem richtigen Weg?

Generell würde ich das schon so sehen. Die Erzieherinnen qualifizieren sich nach ihren Möglichkeiten. Aber das Ganze wird durch die personellen Rahmenbedingungen begrenzt. Die Erzieherinnen haben nicht die Zeit, die Kinder in den eigentlich notwendigen Kleingruppen zu fördern.

Sie haben Modellprojekte wissenschaftlich begleitet, in denen Sprachförderung in Kitas sehr gut funktioniert hat. Was war da anders als im normalen Kitaalltag?

Die Sprachförderung wurde von zusätzlichen Fachkräften durchgeführt. Die Gruppen waren kleiner. Bei Fünf- bis Sechsjährigen sollten die Gruppen für gezielte Sprachförderung nicht mehr als sechs, maximal acht Kinder umfassen. Die Sprachförderung sollte anderthalb bis zwei Stunden pro Tag, mindestens aber an drei Tagen in der Woche laufen.

Ist das in einer ganz normalen Kita machbar?

Das ist schwierig. Allerdings ist die Situation in den Kitas auch sehr unterschiedlich. Manche Erzieherinnen planen immerhin jeden Tag Sprachförderung ein, andere machen das vielleicht einmal im Monat.

Getestet werden die Deutschkenntnisse, wenn die Kinder kurz vor dem Absprung in die Schule sind, zur Förderung bleibt dann noch ein gutes halbes Jahr. Ist das genug?

Nein, das ist zu spät. Um genug Zeit zur Förderung zu haben, müsste der Sprachstand bereits mit dreieinhalb bis vier Jahren überprüft werden.

INTERVIEW: SABINE AM ORDE