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Archiv-Artikel

Kabul will Dostum und Atta entmachten

Afghanistans Regierung will rivalisierende Warlords in Masar-i Scharif mittels eines neuen Gouverneurs entmachten

Den beiden sichbekämpfenden Warlords drohen neue Aufgaben in Kabul

MASAR-I SCHARIF taz ■ Das Tor an der Straße vom nordafghanischen Masar-i Scharif nach Scheberghan, der Hochburg des Usbekengenerals Raschid Dostum, ziert ein Gemälde, das ihn in prächtiger Uniform zusammen mit Präsident Hamid Karsai in afghanischer Tracht darstellt. Der wirkt auf dem Bild wie ein alter, schutzbedürftiger Mann, der sich an den bulligen Usbeken lehnt.

Doch am Sonntag machte Innenminister Ali Ahmed Chalali in Masar-i Scharif deutlich, dass die Zentralregierung sich im Norden nicht länger vorführen lassen will. Er ernannte einen neuen Gouverneur und Polizeichef für die Provinz Balch, deren Hauptstadt Masar-i Scharif ist. „Die Zentralregierung hat damit ihre Handlungsfähigkeit in Nordafghanistan bewiesen“, erklärte Chalali bei einer Zeremonie, bei der Kommandant Mohammad Atta und Repräsentanten seines Rivalen Dostum anwesend waren. Der neue Gouverneur war zuvor Direktor der örtlichen Universität, der Polizeichef kommt aus der südlichen Stadt Kandahar.

Vor drei Wochen stand Nordafghanistan vor einem neuen Krieg. Die Panzer der Warlords Atta und Dostum lieferten sich bei Masar-i Scharif ein Gefecht. Seit der Vertreibung der Taliban konkurrieren die beiden Feldkommandanten um Einfluss im Norden und die Kontrolle über Masar-i Scharif. Atta gehört zu der von den afghanischen Tadschiken dominierten Dschamiat-Partei von Verteidigungsminister Mohammed Kasim Fahim. Der Usbeke Dostum führt die Dschumbesch-Partei. Er beherrte unangefochten den Norden, bis ihn die Taliban 1996 ins Exil trieben. Nach dem Ende des Talibanregimes musste Dostum die Macht im Norden gegen seinen Willen mit Atta teilen. Bis Sonntag war ein Mitstreiter Attas Gouverneur.

„Wir mussten eine Katastrophe abwenden“, sagte der Innenminister. Dreimal besuchte er in den letzten zwei Wochen Masar-i Scharif und zwang die beiden Rivalen zum Frieden. Danach versuchte er schrittweise die Gewalt der Zentralregierung zu etablieren, indem er 300 Polizisten, die nicht einer Partei zuzuordnen sind und ihm direkt unterstehen, nach Masar-i Scharif schickte.

Der neue Gouverneur ist zwar auch Tadschike, und sein Stellvertreter gehört zur Dschamiat-Partei. Doch trotzdem sei ein Prozess der Loslösung des Nordens aus der Umklammerung Attas und Dostums eingeleitet worden, meint ein UN-Mitarbeiter. Die beträchtlichen Zolleinnahmen aus dem Handel mit Usbekistan und Turkmenistan würden ebenfalls seit einem Monat vollständig an die Zentralregierung abgeführt, behauptet der Zollchef in Masar-i Scharif. Zuvor hatten Atta und Dostum um die Einnahmen gerungen. Der Innenminister kündigte an, dass Dostums und Attas Truppen, die in und um Masar-i Scharif liegen, abgezogen und zusammengelegt werden sollten. Und die beiden sich befehdenden Generäle könnten demnächst zu neuen Aufgaben nach Kabul beordert werden.

Atta versicherte am Sonntag, dass er jede Order aus Kabul befolgen werde. Der tadschikische Feldkommandant hat die Uniform gegen einen glitzernden Anzug und spitze Lederschuhe eingetauscht, der einst lange Bart ist gestutzt. Dostum, der schon seit einiger Zeit Zivil bevorzugt, blieb der Zeremonie zwar aus Krankheitsgründen fern. Sein Sprecher erklärte jedoch, Dostum unterstütze die Regierungsentscheidungen. Das Problem sei, so ein UN-Mitarbeiter, für Dostum eine angemessene Position in Kabul zu finden, ohne die dortige Machtarithmetik völlig umzukrempeln. Dostum war schon der Posten des stellvertretenden Verteidigungsministers nicht würdig genug, den er vor einem Jahr aufgab.

Nach der Einmischung der Zentralregierung in Masar-i Scharif sei es zu früh, von einer endgültigen Stabilisierung in Nordafghanistan zu sprechen, meint ein UN-Mitarbeiter. Jedoch sei ein Anfang gemacht. Allerdings könnte dort der zunehmende Opiumanbau die Friedensbemühungen gefährden.MARCUS BENSMANN