piwik no script img

Archiv-Artikel

Umstrittener Populismus

Eine Unterschriftenaktion gegen den EU-Beitritt der Türkei? Der Vorschlag von CDU-Chefin Angela Merkel spaltet die Union. Die Türkische Gemeinde protestierte: „Stärkung der Rechtsradikalen“

AUS BERLIN COSIMA SCHMITT

Das Volk soll aufschreiben, wie sehr es die Türkei ablehnt, findet CDU-Chefin Angela Merkel. Mit ihrem CSU-Kollegen Edmund Stoiber beharrt sie auf der Idee, die Menschen auf der Straße sollten per Unterschrift gegen den türkischen EU-Beitritt stimmen. Doch das empört selbst Unionspolitiker. Kritiker fürchten: In Wahrheit stimmt das Volk dann gar nicht über eine EU-Erweiterung ab, sondern entlädt Ressentiments – gegen die ungeliebten Orientalen am Bosporus und im Gemüseladen an der Ecke.

FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper geißelte den Vorstoß als „unverantwortlichen Populismus“. Außenminister Joschka Fischer appellierte an „die außenpolitische Vernunft“ – Deutschland habe „ein Interesse an exzellenten Beziehungen zur Türkei“.

Selbst Unionspolitiker zeigen wenig Verständnis für den Vorschlag ihrer Parteichefin. Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sprach von einem „mulmigen Gefühl“. Die Aktion könne „missverstanden werden“. Auch CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok beteuerte, der Vorschlag bereite ihm „Bauchschmerzen“.

Bislang zeigte sich Stoiber, Glos und Merkel von solcherlei Bedenken unbeeindruckt. Schließlich hat Roland Koch 1999 die hessische Landtagswahl auch mit Hilfe einer Unterschriftenaktion gewonnen – damals gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. So ist es nicht verwunderlich, dass der hessische CDU-Ministerpräsident die jetzige Aktion im Kern begrüßt. Koch warnt jedoch vor überstürztem Aktionismus: „Zum richtigen Zeitpunkt muss eine Unterschriftenaktion erwogen werden. Das wird aber nicht in den kommenden vier Wochen sein“, sagte er gestern.

Noch nicht geäußert hat sich bislang Rüttgers, CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, das im Mai an die Wahlurnen schreitet. Er steht im Konflikt: Einerseits braucht die Union im traditionellen SPD-Land jedes wahlkampftaugliche Thema. Andererseits präsentierte sich Rüttgers bisher als modern und besonnen.

Und ein Risiko immerhin birgt das Stimmenfangen gegen den Türkei-Beitritt, wie die Vergangenheit zeigt. Schon in den Achtzigern und frühen Neunzigern fühlten sich Rechte durch die damaligen Asyldebatten ermutigt, türkische Häuser anzuzünden. In den letzten Jahren gingen die türkenfeindlichen Ausfälle zurück. Die Anti-Araber-Welle nach dem 11. September hat sie überlagert. Der Stimmenfang via Unterschrift könnte nun die alten Vorurteile neu beflügeln, kritisierte die Türkische Gemeinde in Deutschland gestern in einem offenen Brief an Angela Merkel. Die Kampagne wäre „Wasser auf die Mühlen von Rechtsradikalen“.