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Archiv-Artikel

berliner szenen Im Blaulicht

Flutwelle mit Mütze

Das Blaulicht sah schön aus am Abend. Polizeiautos hatten die Gneisenaustraße abgesperrt. Von weitem hörte man es grollen. Der Boden bebte wie von Indianerpferden. Eine Viertelstunde lang fuhren Skater vorbei. Die meisten sahen sportlich aus und nach gesundem Freizeitsportmittelstand. Manche waren Liebespaare oder Vater mit Tochter und hielten sich, als wäre es eine Fernsehreklame, an den Händen.

Durch Hände verbundene Kleingruppen schlängelten sich zu fünft oder sechst durch die skatenden Massen, ein braungebrannter Mittvierziger in kurzen Hosen fuhr Arabesken, die einem von außen rührend hilflos vorkamen. Sekundenlang schaute man Vorbeigleitenden in Gesichter, fremde Augen schauten zurück. Vielleicht nur, weil sie gleich wieder weiterrollten.

Die Skater erschienen wie eine Flutwelle, auch weil sie mit Rollschuhen natürlich größer waren, als die Menschen, die an der Kreuzung standen. Einzelne Emigrantenjugendliche, die weiße T-Shirts trugen, liefen in die vorbeiskatende Menge und ein paar Meter mit, so als Mutprobe, als wären das Stiere oder um die Skater zu ärgern, die einer anderen Klasse angehörten. Sie wurden von Ordnern zurückgezogen und versuchten es immer wieder. Man beobachtete das und wartete auf einen Unfall, doch nichts geschah. Jemand warf dann die schwarze Schirmmütze eines anderen zwischen die Rollschuhfahrer, um einen Grund zu haben, der Mütze hinterherzulaufen. Er wurde aber von einem Ordner festgehalten. Die Inlineskater wichen der Mütze aus. Erst am Ende, als der Schwarm schon nicht mehr so dicht war, nahm ein Skater die Mütze vom Boden auf und ein Junge rief „meine Mütze!“, lief hinterher, doch vergebens, denn der Skater war schneller. DETLEF KUHLBRODT