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Archiv-Artikel

Keine Vision für Deutschland

StipendiatInnen der Wirtschaft kamen in die Lobbyzentrale ihrer Geldgeber, um ergebnisoffen große Fragen zu diskutieren. Die Runde blieb ergebnislos: Viele Studis lehnten die Unigebühren der Industrie ab – und brachten kein eigenes Konzept zustande

Studis, visionslos: „Anders als Politiker haben wir wenigstens Hemmungen, jeden Mist zu veröffentlichen“

VON FRIEDERIKE KRIEGER

Sie wollten alles anders machen, und das sollte schon der Name verdeutlichen. Zu „Deutschlanders“ riefen rund 100 StipendiatInnen der Stiftung der Deutschen Wirtschaft nach Berlin. Ziel war es, eine „gemeinsame Zukunftsvision für Deutschland“ zu erarbeiten.

Am Ende aber musste Projektleiter Daniel Sliwiok feststellen: „Unser Ergebnis ist, dass wir keins haben.“ Dabei hatten die Stipendiaten das Problem des Reformstaus doch bereits ausgemacht: „Den Politikern fehlt der Überblick über das große Ganze“, erklärte Sliwiok, der selber noch Student ist. Die Politik verliere sich in Details. „Was wir brauchen, sind produktive Vorschläge und ein ganzheitliches Konzept, was in Deutschland getan werden muss“.

Das Experiment ging in etwa so: Man nehme 100 Studierende verschiedenster Fachrichtungen, setze sie im feinen „Haus der deutschen Wirtschaft“ einen Tag lang Informationen über Arbeitsmarkt, Steuer und Bildung aus – und hoffe, dass ein visionäres Produkt daraus entsteht.

Erarbeiten sollten die Vision Studenten wie Tobias Koplin aus Aachen. Der Chemiedoktorand hat sich für den Workshop „Gesellschaftsentwicklung“ angemeldet. Von Bildungspolitik hat er feste Vorstellungen. „Die Professoren sind einfach überlastet“, erklärt er. So könnten die Profs in keinem Bereich wirklich gut sein. Mehr Stellen für Doktoranden und Hilfskräfte müssten her. Tu-Lam Pham dagegen, Volkswirtschaftsstudent aus München, will mehr Geld in die Eliteförderung stecken. Auch Studiengebühren scheut er dafür nicht. „Jeder gute Student muss an die Universität seiner Wahl gehen können“, meint er.

Als das Thema Bildung allerdings endlich auf den Tisch kam, waren die 20 Workshopteilnehmer schon ein wenig ermattet. Rund zwei Stunden hatten sie bereits darüber debattiert, wie sie die Themenfelder strukturieren sollten, in denen sie Handlungsbedarf sehen. Das machte müde.

Doch zum Entspannen blieb keine Zeit: Dozentin Gerrit Witschaß, Lehrerin und in der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) engagiert, verteilte Broschüren der Arbeitgeberlobby. Sie erwarte in einer halben Stunde Kurzreferate von den Studenten, dekretierte sie, „so wie sie es in den Seminaren im Rahmen ihres Stipendium gelernt haben“. Fieberhaft gingen die Studenten mit Textmarkern durch die Heftchen und entwarfen Konzeptpapiere. Die Studentin vis-à-vis von Tu-Lam Pham fand die Eliteförderung ihres Gegenübers gar nicht gut. Dann bekomme ja am Ende nicht jeder einen Studienplatz.

Zeit zur Diskussion dieser spannenden Frage blieb freilich nicht, die Präsentation musste fertig werden. Im Eiltempo folgten Vorträge mit Titeln wie „Führungskraft Lehrer“ oder „Schule als Unternehmen“. Als es um Studienfinanzierung ging, ließen die Wirtschaftsstipendiaten ihre lammfromme Haltung zu ihren Geldgebern sinken. Es regte sich Protest gegen den Vorschlag der Arbeitgeberverbände, das Kindergeld in Stipendien für Studierende umzuwandeln. Das stieß bei den Studenten auf wenig Verständnis – aber die BDA-Abgesandte Witschaß beendete den kurzen Moment des Selbstdenkens schnell. Für eigene Thesen der Studenten blieb leider keine Zeit mehr. Der nächste Referent wartete schon.

Beim Abschlusssymposium redeten Johanna Ferkl und Katherin Kirschenmann, beide feierlich in Schwarz gekleidet, stellvertretend für den Bildungsworkshop. Das Reformschiff Deutschland müsse die große und gefährliche Klippe Bildung umschiffen. Die Studis forderten eine verstärkte Zusammenarbeit von Schule, Universität und Unternehmen, um die Abbrecherquoten an den Hochschulen zu senken. „Themen wie Studiengebühren lagen uns auch am Herzen“, sagte Johanna Ferkl. Auch ihr elegantes Schwarz konnte nicht kaschieren, „dass wir für einen Konsens mehr in die Tiefe hätten gehen müssen“.

Die anderen Studierenden waren mit einem Politiker-Ehrenkodex aus dem „Entscheidungsstrukturen“-Workshop und Überlegungen zur Abschaffung der Pendlerpauschale aus der „Steuer und Abgaben“-Gruppe kaum erfolgreicher. Denn auch sie kamen zu einem einigermaßen kuriosen Schluss: Nichts von alledem sollte an die Öffentlichkeit gelangen.

Obwohl das als ergebnisoffen angekündigte Seminar ergebnislos blieb, sah Projektleiter Sliwiok einen Pluspunkt: „Im Gegensatz zu den Politikern hatten wir wenigstens Hemmungen, jeden Mist zu veröffentlichen.“