„Die Hildebrandt-Mauer ist ein Fake“

Der Gedenk- und Denkmalexperte Eberhard Elfert über das Mauerprojekt am Checkpoint Charlie: Das ist eine Inszenierung, noch dazu am falschen Ort. Denn: Der Checkpoint Charlie ist alliierte Geschichte. Berlin hat zu wenig Interesse an angemessener Mauer-Aufklärung, es mangelt an einem Konzept

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Elfert, am Checkpoint Charlie baut Alexandra Hildebrandt, Leiterin des Mauermuseums, ein Stück Berliner Mauer wieder auf. Was bedeutet die Aktion?

Eberhard Elfert: Es ist eine Inszenierung an einem sehr prominenten Ort in der Stadtmitte. Als historische Erinnerung, wie Frau Hildebrandt vorgibt, hat dies jedoch keinen Wert, denn die aufgestellten Mauersegmente sind nicht authentisch, und sie stehen nicht auf dem originalen Mauerverlauf. Außerdem war die Geschichte des Checkpoint Charlie primär nicht geprägt von der Mauer, sondern wie der Name sagt, der Übergang für die Alliierten. Darum ist der Checkpoint Charlie alliierte Geschichte.

Worauf zielt dann das Mauerprojekt von Hildebrandt?

Es ist ein Fake – vielleicht mit dem Ziel, noch mehr Besucher in das Museum zu locken. Keinesfalls wird hier aber repräsentativ ein Abschnitt der Geschichte dargestellt.

Erfüllen die anderen Grenzgedenkorte diese Voraussetzungen?

Leider wird die Vielzahl der Dimensionen, welche die Mauer hatte – ihre Tiefe, die Sperrgebietsabschnitte, das unterschiedliche Aussehen, die Türme et cetera– in Berlin insgesamt nicht richtig dokumentiert: Wer die Mauer etwa an den Gedenkorten Checkpoint Charlie, Eastside Gallery oder an der Bernauer Straße sucht, wird enttäuscht und bleibt ratlos. Es gibt meiner Ansicht nach keinen Ort, der angemessen die Geschichte und Bedeutung Mauer darstellt.

Aber ist der Checkpoint Charlie heute nicht viel mehr als Geschichte und Gedenkort: nämlich Inszenierung, Andenken- und Ramschladen, Museum und so weiter?

Sicher ist der Checkpoint heute so etwas wie ein Sammelsurium. Aber es muss für den, der dort hinkommt deutlich werden, was echt und was inszeniert ist. Dann kann man solche Dinge wie die Hildebrandt-Mauer auch tun.

Kultursenator Thomas Flierl meint, Kommerzialisierung und Gedenken schließen sich aus. Ist eine solche Forderung gerade an diesem Ort nicht naiv?

Es gibt im touristischen Bereich schon lange – ausschnittweise – die populäre Nutzung von Geschichte und Gedenken. Wir kennen ja die sehr starke Verwissenschaftlichung von Geschichte, die dann in ihrer Komplexität von solchen Nutzern gar nicht richtig wahrgenommen werden kann. Eine Popularisierung muss aber in einer bestimmten Form nicht immer schlecht sein. Im Gegenteil, der so genannte Gedenkstättentourismus, der seriös ist, aber die Besucher nicht mit Wissen, Dokumenten und so weiter erschlägt, bedient sich solcher Formen.

Suchen die Touristen am Checkpoint Charlie nicht gerade die totale Popularisierung?

Der Checkpoint Charlie ist heute ein Mythos, er ist aufgeladen mit Legenden, spannenden Flucht- und Spionagegeschichten und Kalter-Kriegs-Symbolik. Das bedient das Museum. Darum kommen leider die anderen Bedeutungsebenen wie die des alliierten Übergangs und der Abfertigungshallen zu kurz. Auch der wirklich authentische Mauerort in dem Bereich, der 100 Meter weiter ist, dort wo Peter Fechter bei der Flucht erschossen wurde, gerät ins Abseits. Darum noch einmal: Wer die Mauer dokumentieren möchte, wer erinnern möchte, muss ganz andere Orte in der Stadt suchen. Etwa die Grenze zwischen Treptow und Neukölln oder Kreuzberg, wo die bis heute die Bereiche mit Sperranlagen und gegenüberliegenden Häusern erfahrbar sind. Selbst die symbolische Bernauer Straße ist nicht typisch.

Der Senat und Denkmalexperten kritisieren die „Privatisierung“ des Gedenkens am Checkpoint Charlie. Hätte nicht längst ein Konzept des Landes Berlin, so wie es an der Bernauer Straße geschehen ist, kommen müssen?

Die Frage nach der Privatisierung des Gedenkens sollte man nicht generell ausschließen. Es kommt immer darauf an, wie etwas gemacht wird. Für den Checkpoint wie für die anderen Gedenkorte gibt es kein Konzept, das ausreichend Aufklärung leistet. Es besteht wohl beim Land kein Interesse und kein ausreichender Konsens, dort Aufarbeitung zu leisten und zu forschen.

Wie könnte dennoch ein Konzept aussehen?

Es wäre sicher kein eindeutiges, sondern komplexes Konzept, das vielgestaltig sein müsste, weil alle gesellschaftlichen Gruppen an einem solchen Erinnerungsprozess teilhaben. Wer beispielsweise aus Tokio oder Rio de Janeiro kommt und fragt, wie war das eigentlich mit der Mauer, wird dann wahrscheinlich mit mehreren Perspektiven konfrontiert. Das wäre auch sinnvoll, denn schon allein die Tatsache, dass die Mauer von zwei Seiten Ost und West völlig unterschiedlich wahrgenommen oder „genutzt“ wurde, bedingt eine derartige Auseinandersetzung. Wer weiß denn noch, dass es auf der östlichen Seite Blumenkübel gegeben hat, für die es Patenschaften gab und die von „verdienten Genossen“ bepflanzt wurden, um den „antifaschistischen Schutzwall“ zu ehren.

Aber die Bereitschaft zur Auseinandersetzung fehlt, sagen Sie.

Ja, das ist leider so. Die Mauer ist mit unheimlicher Geschwindigkeit abgerissen worden. Das war ein Fehler. Aber selbst als man das erkannt hat, wurde nicht angemessen engagiert reagiert. Warum? Es besteht in Berlin bis dato insgesamt eine unentschiedene Haltung zur Erinnerung an die Mauer und an die DDR. Es scheint kein wirkliches gesellschaftliches und politisches Interesse an einer seriösen Aufarbeitung der Mauer zu geben. In diese Lücke springen Frau Hildebrandt und auch andere. Und sie tun es mit zweifelhaften Ergebnissen.