piwik no script img

Archiv-Artikel

Er-Laubte Forschung

Österreichische und Schweizer Forscher haben herausgefunden, warum im Herbst die Wälder so schön bunt werden: Den Pflanzen geht es vor allem um die Rückgewinnung von Nährstoffen

von GABRIELE RAMPL

Im dritten Stock des Chemiegebäudes der Universität Innsbruck steht ein besonderer Tiefkühlschrank. Sein Inhalt: Gefrorenes Laub. Die fein säuberlich verpackten und übereinander geschichteten Blätter sind die „Beute“ eines Herbstausfluges im Dienste der Wissenschaft.

Seit zwölf Jahren erforscht Bernhard Kräutler vom Institut für Organische Chemie den Abbau von Chlorophyll in Pflanzen. Zusammen mit dem Botaniker Stefan Hörtensteiner vom Institut für Pflanzenwissenschaft der Universität Bern hat Kräutler nun entdeckt, welche Reaktionen letztlich zu dem Naturschauspiel führen. „Das Blattgrün wird rasch zu farblosen Verbindungen abgebaut. In einem letzten Schritt bringt eine chemische Reaktion das Chlorophyll endgültig zum Verschwinden. Dieser Prozess läuft spontan in den Vakuolen – dem Abfallbehälter der Pflanzenzelle – ab. Wenn das Grün weicht, schafft es Platz für die klassischen Herbstfarben“, so beschreibt Kräutler die Resultate des Forschungsteams.

Für die Gelb- und Rottöne sind Carotinoide und Anthocyane verantwortlich. Carotinoide „kolorieren“ unter anderem Karotten. Anthocyane färben auch Rosen, Brombeeren oder Auberginen. Diese Pigmente sind bereits in grünen Blättern enthalten. Wird Chlorophyll abgebaut, sind diese Stoffe in ihren eigenen Farben aber besser sichtbar.

Weltweit werden jedes Jahr in den Blättern etwa tausend Millionen Tonnen Chlorophyll abgebaut. Hinter dem Naturschauspiel steckt das ausgeklügelte Wirtschaften von Pflanzen. Wenn das Grün verschwindet und die Blätter gelb, rot und braun werden, kann zum Beispiel ein Baum durch den Abbau des Chlorophylls Magnesium zurückgewinnen. „Gleichzeitig werden im Baumkleid Eiweißstoffe abgebaut. Das ist der zweite Prozess. Dieser läuft im Gegensatz zum Farbspiel unsichtbar in den Blättern ab“, erklärt der Chemiker.

Bei diesem Vorgang holt sich die Pflanze lebenswichtigen Stickstoff für ihren Stoffwechsel retour. „Magnesium wird für den Wiederaufbau des Chlorophylls besonders im Frühling benötigt. Stickstoff benötigt ein Baum – wie andere Pflanzen – zum Aufbau der wichtigsten molekularen Bestandteile des Lebens“, so der Wissenschaftler.

Bis vor zehn Jahren sei vermutet worden, dass der Abbau des Blattgrüns der Rückgewinnung von Stickstoff aus dem Chlorophyll diene. Kräutler dazu: „Stickstoff ist aber in weitaus größerer Menge in den Eiweißstoffen der Pflanze enthalten und gelangt aus diesen zurück in den Stoffwechsel.“

In einem handgroßen Blatt – zum Beispiel eines Ahornbaumes – „sitzen“ circa 10[20]Chlorophyll-Moleküle. Sie warten dort auf Sonnenlicht und sorgen als Motor der Photosynthese für die Versorgung des Baumes. Diese Moleküle wiegen in einem Blatt zehn Milligramm, in etwa so „viel“ wie ein Hundertstel eines Streichholzes.

Das Chlorophyll-Molekül besteht aus einem ringförmigen Teil mit einem Magnesium-Atom im Zentrum und einem fettartigen Anker an der Seite. Mit diesem „Arm“ hält sich das Chlorophyll-Molekül in der Membran der Blattzellen fest. Der ringförmige Teil des Blattgrün – der „Porphyrin-Ring“ – ist für die Farbe des Chlorophylls verantwortlich.

Wenn eine Pflanze Stress hat, beginnt der Abbau des grünen Pigmentes zu farblosen Verbindungen. Solche Auslöser sind unter anderem Lichtmangel, Kälte, Trockenheit. Im Blatt wird dann ein Enzym produziert, das den Abbau von Chlorophyll in Gang setzt. Dieser Biokatalysator spaltet den fettartigen Anker ab. Aus dem nun besser wasserlöslichen Molekül spaltet ein weiteres Enzym das Magnesium heraus. Es sorgt auch dafür, dass Magnesium in den Wurzeln und im Stamm gespeichert wird – in jenen Teilen der Pflanze, die überwintern.

Im entscheidenden Schritt beim Chlorophyllabbau, bei dem erst die grüne Farbe verschwindet, bricht ein dritter Biokatalysator den Molekülring mit Hilfe von Sauerstoff auf. Wie die Forscher um Kräutler und Hörtensteiner nun herausgefunden haben, wird im letzten wichtigen Schritt ein dann noch immer fluoreszierendes Abbauprodukt in den Vakuolen der Blätter sehr schnell in eine farblose Verbindung verwandelt. Dieser Prozess ist eine chemische Reaktion, die spontan in den Vakuolen der Blattzellen abläuft. Im Gegensatz zu bisherigen Vermutungen sind Enzyme hier nicht involviert. Soweit heute bekannt, bleiben diese farblosen Abbauprodukte im Abfalleimer der Pflanzenzellen und fallen mit dem vergilbten Blatt vom Baum, erklärt Kräutler.

„Wenn sie heute auf dem Weg zur Arbeit einen grünen Baum sehen, kann ihnen dieser in einem kurzen Zeitraum darauf ohne Blattkleid begegnen. Der Abbau von Chlorophyll dauert im Durchschnitt bei einem Laubbaum etwa nur eine Woche“, so der Chemiker. Dass Laubbäume im Herbst ihr „Kleid“ abwerfen, ist durch die Nährstoffökonomie der Pflanze erklärbar. Beim Übergang zum kalten Herbstwetter wird aus den überlebenswichtigen Blättern eine Belastung für den Baum. Behält er seine Blätter, hat er eine größere Oberfläche und riskiert zusätzlich Schäden durch die winterliche Schneelast. Wegen dieser Gefahren und weil weniger Sonnenstrahlen den Photosynthese-„Motor“ ankurbeln, wirft er die Blätter ab.

Kräutler und seine Mitarbeiter sammeln jeden Herbst Blätter von Bäumen und Sträuchern. Im Visier haben sie Ahorn, Ginkgo und Lärche. „Wir studieren aber auch Spinat und Brokkoli, Pflanzen, die einen Chlorophyllabbau durchmachen“, betont Kräutler. Damit sich diese Untersuchungsobjekte nicht verändern, werden sie so schnell wie möglich bei minus 80 Grad Celsius eingefroren. In einem Glasbehälter, der auf 10 Grad minus gekühlt wird, werden die Blätter schließlich püriert und mit kaltem Methanol und Aceton ausgewaschen. Dieser Pflanzenextrakt wird gefiltert und mit Hochdruckflüssigkeits-Chromatographie (HPLC) analysiert. Bei dieser Methode passieren einzelne Stoffe eine mit einem festen Gel gefüllte Röhre unterschiedlich schnell. Sie werden so getrennt und können genauestens untersucht werden.

Die Erkenntnisse des schweiz-österreichischen Teams, das vom „Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung“ finanziert wurde, haben in der Praxis eine ganze Reihe von Anwendungsmöglichkeiten. „Nutzpflanzen und Bäume können durch ein besseres Verständnis des Chlorophyll-Abbaus besser geschützt werden. Auch die Nahrungsmittelindustrie verfolgt unsere Ergebnisse sehr genau. Die wollen ja, dass zum Beispiel das Gemüse grün bleibt. Wenn ein Brokkoli im Kühlschrank gelb wird, ist dafür ja auch das Schwinden des Chlorophylls verantwortlich“, so Kräutler.