zwischen den rillen
: Eigensinn aus der Diaspora

Der beste Sound tendiert zum Mischmasch: Terry Hall und Robert Wyatt üben sich in der hohen Kunst des Zitats

Zum Pop gehört Uneindeutigkeit. Selbst im durchformatierten Produkt gibt es da einen nicht definierbaren Rest, der driftet, sich mit anderen Stilen verbindet und völlig unerwartbare Zusammenhänge herstellt: Plötzlich läuft ein als Discotrack getarntes indisches Raga-Stück europaweit in den Top Ten. Nie weiß man, auf welchem und vor allem wessen Territorium man sich bewegt. Das gibt der Sache einigen Reiz.

In England beherrscht Terry Hall diese Art der Vermischung. Schon mit The Specials hat er 1979 New Wave für jamaikanischen Ska geöffnet, danach war er bei Fun Boy Three am Bündnis aus Reggae, Sixties-R’n’B und gestyltem Synthiepop beteiligt. Das war vor Jahren: die Kunst des Zitats, mit der sich im fein ziselierten Eklektizismus noch Haltung transportieren ließ, und sei es nur die Weigerung, von der Musikindustrie festgelegt zu werden. Der beste Sound around tendiert zum Mischmasch, das macht ihn zum Gegenspieler jedweder Reinheitsgebote und Reaktion.

Für „The Hour Of Two Lights“ hat Hall mit Mushtaq ein echtes Mixmonster als Partner gefunden. Mushtaq war in den Neunzigern bei Fun-Da-Mental, einem Dancefloorkollektiv aus Commonwealth-Migranten der zweiten Generation. Hier wurde Agit-Rap zur postkolonialen Identität mit HipHop-Loops und Orient-Patchwork unterlegt. Doch von Club-Anarchismus hört man auf „The Hour Of Two Lights“ nichts mehr. Ähnlich wie aktuelle Kunst wirft auch Pop einigermaßen ratlos die Frage auf: Wo gehöre ich überhaupt hin? Deshalb widmen sich Hall und Mushtaq nach ihren Erfahrungen mit spezifisch popcodierten Szenen den wirklichen Grenzen und der Durchlässigkeit von Communities: ethnisch, politisch und sozial.

Schon die Liste der Gastmusiker ist Spiegel einer Diaspora jenseits der religiösen und nationalen Konflikte, die ihr gemeinschaftstiftendes Potenzial in der Kultur findet. So klagt im Intro von „Grow“ ein 12-jähriges Mädchen aus dem Libanon zu arabisch wogenden Streichern über die desolate Situation im Nahen Osten, auf „Ten Eleven“ antwortet der in Paris lebende Rai-Rapper Oujdi auf Halls dunkel grübelnden Satz „One day the walls will talk“; der Refrain zu „A Gathering Storm“ ist in Hebräisch gehalten, und für ein Instrumental wurde die polnische Roma-Gruppe Romany Rad ins Studio geholt. Trotzdem ist das Ergebnis nie Weltmusik als Versöhnungsschnulze à la Sting oder U2 mit ihrem Passenger-Charity-Projekt. Davor schützt Hall und Mushtaq ihr Knowhow auf dem Feld der Pop-Dissidenz, wo die Offenheit für Einflüsse eben immer auch die Widersprüche des Eigensinns beinhaltet. Sonst wird aus Mischmasch ganz schnell Mainstream.

Wenn es um Eigensinn geht, ist Robert Wyatt weit vorne. Seit mehr als 30 Jahren und einem Dutzend Alben, auf denen sich Arbeiterkampflieder mit Klavierübungen abwechseln oder schwerst melancholisches Singalong mit Smashhits wie dem Monkees-Cover „I’m a Believer“, der von Wyatt mit entschiedenem Cockney-Oi vorgetragen wird, voller Inbrunst und ebenso introvertiert. Obwohl er sich auf John Coltrane und Charles Mingus beruft, schlägt Wyatts Herz tief im Innern Pop, Pop, Pop, das ist, wie der Old-School-Marxist in Interviews oft erzählt hat, für ihn die wahre „folk music of the post-industrial age“, zu der er liebend gerne tanzen würde, säße er nicht im Rollstuhl, nachdem er 1973 betrunken aus einem Fenster stürzte. So aber lebt der elder Einsiedel auf dem Land, verbringt die Tage mit Trompete, Piano und Mehrspurgerät, bis alle paar Jahre eine CD fertig ist.

Tatsächlich kommt Wyatt die Peripherie strategisch sehr entgegen. Nicht von ungefähr heißt seine neue Veröffentlichung „Cuckooland“ und ist trotz der Mildgestimmtheit, in der die Songs bei einer Tasse Fünf-Uhr-Tee freundlich dahinzuplätschern scheinen, ein doch extrem aufgebrachter Kommentar zu Politik und Gesellschaft. Wyatts braucht die Isolation für seinen Protest – als Ort einer Fremde, die sich tief in ihm selbst eingeschrieben hat. Nur in dieser Einkapselung im eigenen Scheitern kann er Sätze sagen, die sonst verächtlich wären, etwa wenn er die Unbarmherzigkeit britischer Asylpraxis und die Konzentrationslager des NS-Staats in dem Lied „Forest“ in Beziehung setzt. Andererseits bekommt er von Gilad Atzmon und Yaron Stavi musikalisch Hilfe, wenn er ein Lied aus den palästinensischen Flüchtlingslagern ohne den Originaltext als stummes Requiem einspielt.

Aber auch die wunderliche Heiterkeit, die einem alterslosen Zauber gleich seine Stücke umhüllt, ist ein genau bemessenes Mittel, um zu große Eindeutigkeiten im Zaum zu halten. Denn Wyatt verdichtet, was er sammelt: Jazz, osteuropäische Folklore, Filmsoundtracks, Vaudeville, sogar Samba. Im Studio raut er diese Zutaten so lange auf, bis man ihre zerbrechliche Oberfläche wiedererkennen kann. Nur bei Wyatt klingt Antonio Carlos Jobims „Insensatez“, als wäre es gerade erst am Klavier entdeckt und nicht jahrzehntelang schon als Standard herumgereicht worden. Das ist die höchste Kunst des Zitats: aufheben durch Selbstvermischung. HARALD FRICKE

Terry Hall & Mushtaq: The Hour of Two Lights (EMI), Robert Wyatt: Cuckooland (Rykodisc)