: Stunde der Globalmatadoren
Schnittstellen der Musikstile: Die Flamenco-Szene und die Weltmusik-Aficionados bewegen sich in ganz unterschiedlichen Sphären. Bei der Musikmesse Womex in Sevilla kamen sie sich jedoch näher
von DANIEL BAX
Der Flamenco als solcher ist melodisch arm. Auch seine vertrackten Rhythmen und die Dramatik seines Gesangs sind gewöhnungsbedürftig. Dem Einsteiger erschließt er sich eher über die Intensität und die Theatralik der Darbietung, oder über den Tanz, als über reine Plattenaufnahmen. Das könnte ein Grund dafür sein, warum es bislang nur vergleichsweise wenige Flamenco-Künstler – wie etwa der Fusion-Gitarrist Paco de Lucia oder der Tänzer Joacquim Cortes – in die Liga der millionenschweren Globalmatadoren der Weltmusik gebracht haben.
So gesehen war es ein Glücksfall, dass in der andalusischen Stadt Sevilla am vergangenen Wochenende nicht nur die Womex, die internationale Wandermesse der Weltmusik, Station machte, sondern parallel dazu auch die regionale Flamenco-Messe stattfand. Denn so traten ebenso deutlich die Schnittmengen zwischen den Stilen hervor sowie die Grenzen, die der Internationalisierung einer lokalen Musikfarbe gesetzt sind. Zwei Kulturen prallten im Messegebäude aufeinander: hier die bunte Globetrotter-Crowd der Weltmusik, die trotz Visitenkarten und Business-Talk ihre Herkunft aus der alternativen Gegenkultur nicht verbergen kann; dort die Bussi-Gesellschaft von Sevilla, bei der ein konservativer, wenn auch barocker Dresscode vorherrschte.
Während sich also in der einen Halle rund 2.000 Fachbesucher drängten, vom ergrauten Ex-Hippie mit eigenem Plattenlabel bis zum gepiercten Ethnopop-DJ mit Migrationshintergrund, strömte das örtliche Bürgertum aus Sevilla in die andere Halle: Männer mit lachsfarbenen Krawatten und gut geölten Haaren und Damen in gestärkten weißen Blusen umlagerten die Tische des lokalen Flamenco-Senders Radiolé, der andalusischen Tourismusbehörde oder die vielen Stände, die mit neuer Flamenco-Mode ausstaffiert waren. Es wurden mehr als 20.000 Messegäste gezählt.
Die Konzerte der Womex fanden im Palenque statt, einem futuristischen Stadionbau auf dem Gelände der Weltausstellung von 1992. Dort, auf drei großen Bühnen, waren jene Bands und Interpreten im Vorteil, die über einen eher lauten Sound verfügten: Sie konnten ihre Kollegen übertönen. Das galt für Nacao Zumbi aus Brasilien mit ihrem Sambatrommel-Funkrock genauso wie für den bulgarischen Gipsy-Crooner Jony Iliev oder den libanesischen Rapper Clotaire K. Akustisch geprägte Auftritte wie jener der schwedischen Folkband Bazar Bla oder der portugiesischen Fado-Sängerin Ana Sofia Varela hatten es daneben sehr schwer.
Im Vergleich zu Essen und Rotterdam, den letzten Austragungsorten der Womex, erwies sich die Leistungsshow der Weltmusik an neuem Ort in Sevilla endlich wieder als Publikumsmagnet. Ein überwiegend junges und hedonistisches Publikum zog es in die Palenque-Arena, um die Konzerte zu sehen. Am meisten Zuspruch erhielten freilich lokale spanische Helden wie die alternative Salsapunk-Band Amparanoia aus Madrid. Deren Sängerin Amparo Sanchez gab sich bei ihrem Auftritt ortsgerecht, und kickte den Beat im Flamenco-Rüschenkleid.
Längst ist es eine Glaubensfrage geworden, ob diese Art der Weltmusik noch der Sound der Gegenglobalisierung ist, als welche das Genre einst angetreten war, oder nicht eher ein Abbild der alles nivellierenden Globalisierung selbst. Statt einem Einfallstor für populäre Musikstile aus aller Welt gleicht sie heute, als Zwischenreich von Pop und lokalen Traditionen, eher einem Nadelöhr. Hegemonial geworden ist eine Weltmusik, die auf möglichst tanzbaren Rhythmen basiert, gerne mit Rock oder HipHop fusioniert. Vom Anspruch, dem Mainstream eine Alternative entgegenzustellen, war in Sevilla nur selten etwas zu merken.
Allerdings gab es merkliche Bestrebungen, die Idee der Weltmusik wieder zu repolitisieren. Davon zeugte nicht nur der Womex-Award, der in diesem Jahr an die Organisation Freemuse verliehen wurde. Der dänische Verein versteht sich als eine Art amnesty international der Weltmusik, der Zensur und Unterdrückung von Musikern weltweit anprangert, von Afghanistan bis Simbabwe. Die Preisverleihung wurde passend mit einem Konzert der palästinensischen Sängerin Amal Murkus abgerundet, die als in Israel lebende Palästinenserin zwischen allen Stühlen sitzt.
Der Verein Freemuse hatte auf der Womex auch zu einer Diskussion geladen, bei der das Für und Wider des Kulturboykotts debattiert wurde. Der Anlass war akut: Auf der letzten Womex hatte ein Konzertagent aus New York berichtet, dass israelische Künstler aufgrund des Nahostkonflikts von Weltmusik-Festivals ausgeladen worden seien. Und das britische Weltmusikmagazin froots hatte im Zuge des Irakkriegs gar zu einem Boykott der US-Popmusik aufgerufen.
Fast alle Redner auf dem Panel waren sich aber einig, dass solche Mittel aus der Ära der Anti-Apartheids-Bewegung nur wenig taugten. Schließlich treffe ein undifferenzierter Boykott auch Künstler, die gegen die Politik ihrer Regierungen Stellung bezögen. Amal Murkus konnte die Fallstricke der Sippenhaft am eigenen Beispiel aufzeigen: Bis auf ein Konzert in Tunesien sei sie noch nie in einem arabischen Land aufgetreten, schlicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit.
Aber auch auf der Flamenco-Messe waren Tendenzen einer Politisierung auszumachen, zumindest bei den Konzerten. Da war der Auftritt des Kollektivs Ojos de Brujo aus Barcelona, das zwei Königsdisziplinen der Straße zusammenbringt: HipHop-Beats vom Plattenteller paaren sich bei ihnen mit Flamenco und Freestyle-Rapeinlagen, und die Tanzfiguren des Flamencos mit Breakdance-Elementen. Ihr Auftritt wurde visuell untermalt von einem Filmchen, der wie ein Antikriegsspot wirkte: Er zeigte Bilder von den Demonstrationen gegen den Irakkrieg, die in Spanien so heftig waren wie nirgends sonst in Europa.
Da war aber auch, überraschender vielleicht, die Präsentation einer neuen Flamenco-Performance namens „Inmigracion“, die im kommenden Monat in Sevilla ihre Premiere feiern wird. Das Stück umreißt die diversen Facetten des Themas der Wanderschaft und beginnt mit Szenen der Ankunft spanischer Gastarbeiter in Deutschland. In einer Messehalle wurde ein Ausschnitt der Produktion präsentiert: Ein sechsköpfiges arabisches Orchester aus Marokko spielte dort in langen, weißen Gewändern am Bühnenrand auf, während eine dunkelhäutige Flamenco-Tänzerin in Flamenco-Posen über die Bretter wirbelte. Im Hintergrund wurden auf einer Leinwand Bilder von verängstigten afrikanischen Flüchtlingen gezeigt, die vor der spanischen Küste von der Polizei aufgegriffen werden: So aktuell sozialkritisch hat man eine Flamenco-Show selten erlebt.
Es sind solche Beispiele, welche den Flamenco für Außenstehende wieder interessant machen könnten. Die britische Musikjournalistin Jan Fairley hatte, wiederum auf der Womex, zu einem Panel geladen, auf dem die Frage diskutiert wurde, woran die Welteroberung des Flamencos bislang gescheitert sei.
Ein grundsätzliches Problem ist, dass kaum Flamenco-Alben außerhalb Spaniens veröffentlicht werden. Das gründet auch auf der alten Konkurrenz zwischen Sevilla und Madrid, wo die Konzernzentralen der Plattenfirmen ihren Sitz haben, die nur wenig Interesse an der Verbreitung andalusischer Kultur zeigten. Es liegt aber auch am mangelnden Interesse vieler Flamenco-Stars an einer Karriere im Ausland.
Dafür suchen noch immer viele Touristen im Flamenco nach einem authentischen Andalusienerlebnis. Waren es im 19. Jahrhundert Opern wie „Carmen“ oder „Der Barbier von Sevilla“, welche Bildungsreisende nach Andalusien lockten, so sind es heute eben „Carmen“-Filme oder die Tanzspektakel eines Joacquim Cortès, die den Strom der Pilger im Fluss halten. Sie fallen noch in die dösigsten Dörfer Andalusiens ein, von der Frage getrieben: Wo steppt hier eigentlich der Flamenco-Bär?
Dort ist der Flamenco tatsächlich noch immer ein Teil der Alltagskultur: Jede Stadt hat ihre Pena, ihren lokalen Verein der Flamenco-Liebhaber, oder gleich ein Festival wie das malerische Casavermeja, das einmal im Jahr zu einer prominent besetzten, langen Nacht des Flamenco lädt, die meist bis in den frühen Morgen andauert. Es werden sogar, mit offizieller Förderung, neue Flamenco-Häuser eröffnet.
Gleichzeitig ist die Musealisierung des Genres in vollem Gange. Seit mit dem Flamenco-Rebellen El Cameron de la Isla vor zehn Jahren einer der letzten klassisch gewordenen Stars gestorben ist, werden allerorten Statuen errichtet, historische Plakate ausgestellt, Geburtshäuser von Flamenco-Größen unter Denkmalschutz gestellt oder ganze Museen gegründet. Das andalusische Tourismusbüro hat gar sieben „Flamenco-Routen“ ausgearbeitet, die es mit einer Fülle von Faltblättern bewirbt.
Jetzt muss eigentlich nur noch ein Ry Cooder oder mit ihm Wim Wenders kommen, der über den Flamenco einen Film dreht.