piwik no script img

Archiv-Artikel

Gletscher, ideale Snowboard-Reviere

Österreich plant neue Skigebiete auf Alpengletschern. 3.500 Meter Höhe – wer bietet mehr? Seit der Gletscherschutz in Tirol gefallen ist, wachsen die Hoffnungen der Tourismusbranche in den Himmel. Ökologen haben Probleme mit ihren Argumenten

AUS MÜNCHEN JULIA BRUGGER UND HEIDI TIEFENTHALER

13 Jahre war auf den Gipfeln der Tiroler Gletscher Ruhe – das könnte sich jetzt schlagartig ändern. Im Mai hat die Tiroler Regierung beschlossen, den strengen Schutz für die Eisriesen aufzuheben. Schon gibt es konkrete Pläne für neue Skigebiete in bisher unerschlossenen Höhen: Die abgelegenen Bergtäler Pitz- und Kaunertal sind die ersten Tiroler Skigebiete, die sich von der veränderten Gesetzeslage einen neuen Touristensegen erwarten. Mit der Erschließung der Weißseespitze des Gepatschferners in 3.526 Meter Höhe würde das höchstgelegene Skigebiet Österreichs entstehen – ein Aufstieg in die „Champions League“ des internationalen Skitourismus.

Das Pitztal ist schon jetzt eines der tourismusintensivsten Gebiete Tirols. Gegen den allgemeinen Trend in Österreich haben die Übernachtungen seit 1990 zugenommen. Während der Pitztaler Tourismusverband zu keinerlei Auskunft im Zusammenhang mit den Ausbauplänen bereit war, heißt es beim Tourismusverband Kaunertal, dass die Hotellerie hoch verschuldet sei. Das Projekt Weißseespitze sei notwendig, um die Wirtschaft zu stabilisieren.

Schon im vergangenen Wahlkampf profilierte sich die Österreichische Volkspartei in Tirol mit dem Versprechen, der lahmenden Tourismusbranche wieder auf die Sprünge zu helfen. UmweltschützerInnen befürchten, dass dieses Vorhaben jetzt auf Kosten der Umwelt eingelöst werden soll. Dabei wird bereits klar, dass die versprochenen Ausbauten juristisch nicht einfach durchzusetzen sein werden. Die internationalen Abkommen der Alpenkonvention könnten das Vorhaben leicht kippen lassen. Der Österreichische Alpenverein kritisiert, dass im Entwurf des Raumordnungsprogramms der Landesregierung nicht auf mögliche Umwelteffekte des Gletscherausbaus eingegangen wird. Kommenden Dienstag soll der neue Entwurf des Raumordnungsprogrammes der Tiroler Landesregierung zum Beschluss vorgelegt werden.

Der Klimawandel setzt ein großes Fragezeichen hinter die Hoffnungen der Skigebietsbetreiber und der Tourismusbranche. Der Innsbrucker Hochgebirgsforscher Gernot Patzelt geht davon aus, dass ein ganzjähriges Skivergnügen in absehbarer Zeit nur noch auf über 4.000 Metern möglich sein wird.

Trotz dieser Prognosen setzen viele Regionen Österreichs weiterhin ausschließlich auf Skitourismus. Und dies, obwohl in ganz Österreich bereits erschlossene Gletschergebiete nicht ausgelastet sind. Es fehlt an innovativen und umweltverträglichen Konzepten für die Regionalentwicklung. Umweltschützer und Hochgebirgsforscher sehen diese touristische Wachstumsspirale mit Sorge. Politische Schachzüge, die Wirtschaftsflaute und fehlende Untersuchungen über ökonomische und ökologische Effekte des Ausbaus machten eine sachliche Diskussion in Tirol bisher fast unmöglich. Die Ausbaugegner ringen um Argumente. Einige betonen vor allem die Trinkwasserfunktion der Gletscherregionen. Sie befürchten, dass das ewige Eis als größter Wasserspeicher Mitteleuropas durch Ruß, Öl und Salze aus den Skigebieten gefährdet wird. Andere erwarten, dass die Ausbauten mit Betriebsanlagen, Parkplätzen und Entsorgungseinrichtungen riesige Ausmaße annehmen werden und durch die großflächige Versiegelung des Bodens die Murenabgänge zunehmen.

Vielleicht fällt den Ausbaugegnern das Argumentieren so schwer, weil ihr stärkster Beweggrund nicht mit wissenschaftlichen Fakten zu untermauern ist. Denn – welchen Wert haben unberührte Gletschergipfel? „Letztlich geht es nicht um die paar Hektar Gletscherfläche“, sagt Gernot Patzelt. „Es geht um die Störung der natürlichen Gegebenheiten.“ Er kritisiert, dass der natürlichen Ressource Gletscher in der erhitzten Debatte bisher kein Eigenwert zugestanden werde. Bei der Aufrechnung der Kosten werde an keiner Stelle der Wert der unberührten Landschaft angeführt, der durch den Ausbau unwiederbringlich verloren ginge.