: Grundgesetz muss auch bei Lenin gelten
Ein Oldenburger Richter hat Verfassungsbeschwerde gegen das neue niedersächsische Polizeigesetz eingereicht. Weil er des Öfteren in einer linken Kneipe verkehrt, fürchtet er, ein Opfer staatlicher Telefonüberwachung werden zu können
von Ebbe Volquardsen
Auf dem Tresen steht noch eine alte Lenin-Büste und erinnert an längst vergangene Zeiten. Jeder, der in den Siebziger- und Achtziger-Jahren in Oldenburgs linker Szene Rang und Namen hatte, trank sein Bier „Bei Beppo“ in der Auguststraße. Das Lokal sei eine richtige kommunistische Hochburg und DKP-Stammkneipe gewesen, berichten die Besitzer ein bisschen stolz.
An den Leninismus glaubt kaum noch jemand, und die DKP ist auch in Oldenburg zu einem winzigen Häufchen zusammengeschrumpft. Aber links denkende Leute tummeln sich in der einschlägigen Kneipe noch immer. So auch ein Oldenburger Richter. Doch dem bereitet der Gang in sein Stammlokal seit einiger Zeit Bauchschmerzen. Grund für die Besorgnis: Das neue niedersächsische Polizeigesetz erlaubt die vorbeugende Telefonüberwachung. Danach können auch Menschen abgehört werden, die nur in Verdacht stehen, in Zukunft straffällig zu werden, oder die mit straffälligen Personen verkehren. Wer also ab und an mit den falschen Personen ein Bier trinkt, könnte im ungünstigsten Fall von der Polizei angezapft werden.
Der Richter hat eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ausdrücklich erwähnt er darin auch seine Kneipenbesuche. Da er in der Gaststätte zuweilen Gespräche mit „linksradikal gesonnenen Personen“ führe, fürchte er jetzt, ebenfalls zum Opfer staatlicher Telefonüberwachung werden zu können.
Das neue Polizeigesetz ist eines der ersten großen Gesetzesänderungen der niedersächsischen CDU/FDP-Koalition. Im Dezember 2003 trat es in Kraft. Nun hat Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem die Regierung in Hannover aufgefordert, eine Stellungnahme zu der Beschwerde abzugeben. Die kam prompt. „Wir gehen davon aus, dass unser Gesetz verfassungskonform ist“, sagt Frank Rasche, Sprecher des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann (CDU). Man stehe einer möglichen Klage gelassen gegenüber. Die Kritik des Oldenburger Richters, das Gesetz grenze den Personenkreis, der abgehört werden darf, nicht genau genug ein, weist das Ministerium zurück. Schünemann räumt zwar einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen ein, sieht unter dem Strich aber die Verhältnismäßigkeit gewahrt. Die Gesetzesänderung sei notwendig, um organisierte Kriminalität und Terrorismus besser bekämpfen zu können, heißt es. Außerdem brauche die Polizei in der Regel einen richterlichen Beschluss, um eine Abhöraktion durchzuführen. Der Abgehörte müsse darüber hinaus anschließend über den Lauschangriff informiert werden, damit er die Chance habe, zumindest im Nachhinein vor dem Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme zu klagen.
Ob die Beschwerde des Oldenburger Richters eine Verfassungsklage zur Folge hat, ist noch unsicher. Der Bremer Rechtsanwalt und Bürgerrechtsexperte Rolf Gössner räumt einem solchen Verfahren aber durchaus Chancen ein. Gerade vor dem Hintergrund der Urteile, die das Verfassungsgericht zum so genannten großen Lauschangriff gefällt habe, sei eine Klage gegen das Polizeigesetz durchaus erfolgversprechend, so Gössner. Die Sorge des Oldenburger Richters könne er gut verstehen. „Nach dem neuen Gesetz kann man von einer Abhöraktion betroffen sein, ohne dass man sich irgendwas zu schulden kommen lässt“, sagt Gössner, der auch Jurymitglied beim BigBrother-Award ist. Der Bremer hat das niedersächsische Polizeigesetz von Anfang an kritisiert. Und der BigBrother-Award – er wird an Menschen verliehen, die den Datenschutz missbrauchen – ging im letzten Jahr an Niedersachsens Innenminister. „Im Windschatten der Terrorbekämpfung werden drastische Einschnitte der Grundrechte in Kauf genommen“, sagte Gössner damals in seiner Laudatio.