: Mit Lesekisten zur Schule
Schlechte Nachrichten bei den Berlin-Brandenburgischen Buchwochen: Personaleinsparungen, Etatkürzungen – die Berliner Bibliotheken leben zumeist von der Substanz und vergraulen damit ihre gerade erst gewonnene Leserschaft
„Unsere Wahrnehmung wird durch den Wilden Garten Erinnerung bereichert“, beschreibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels das Motto der diesjährigen Berlin-Brandenburgischen Buchwochen. Bezogen auf die Berliner Bibliotheken sind das vor allem Erinnerungen an bessere Zeiten: Von ehemals 206 öffentlichen Berliner Bibliotheken im Jahr 1997 sind aufgrund des chronischen Finanzmangels der Stadt nur noch 115 übrig geblieben.
Vor allem im östlichen Teil Berlins schließen immer mehr Zweigstellen der Stadtbibliotheken: So gab der Bezirk Marzahn-Hellersdorf in den letzten Jahren 10 seiner ehemals 14 Bibliotheken auf. In Pankow werden bis Ende des Jahres fünf Stadtteilbibliotheken zugemacht. Meist sind es Personaleinsparungen, die die Stadtteilbibliotheken eingehen lassen. Seit 1997 haben die Bezirke rund 200 Stellen abgebaut. So schloss beispielsweise Kulturstadträtin Marlitt Köhnke Anfang September Hals über Kopf die Kleist-Bibliothek in Marzahn-Nordwest, weil die beiden Bibliothekarinnen im Job-Center des Bezirks benötigt wurden.
Eine verheerende Entwicklung, meint Monika Augustin, Vorsitzende des Berufsverbands Information Bibliothek (BIB): „Die Bedeutung der Bibliotheken wird vor allem bei der Leseförderung von Kindern unterschätzt.“ Es sei kein Zufall, dass in Finnland, das Platz eins in der Pisa-Studie einnimmt, fast jede Schule ihre eigene Bibliothek habe. In Berlin dagegen müssten sich die Bibliothekare mit Lesekisten auf den Weg in die Schulen machen, und das sei sehr personalintensiv.
Dem Sterben der Bibliotheken zum Trotz steigen die Besucherzahlen. So schmökerten im Vergleich zum Jahr 2000 rund 300.000 Berliner mehr in den örtlichen Bibliotheken. Mit dieser positiven Entwicklung angesichts des eingeschränkten Angebots könnte es aber bald vorbei sein. „Wenn die Mittel für Neuanschaffungen abnehmen, können die Bibliotheken nicht mehr aktuell bleiben und die Entleiherzahlen sinken zwangsläufig“, sagt Augustin. Waren 1992 noch rund 6 Millionen Euro für neue Bücher vorgesehen, standen den Bibliotheken im vergangenen Jahr nur noch 2 Millionen zur Verfügung. Besonders prekär: Während der Etat für neue Bücher kontinuierlich in den Keller geht, steigt gleichzeitig der Buchpreis, sodass sich die Bezirke noch weniger neuen Lesestoff leisten können. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg wird sich im nächsten Jahr überhaupt keine neuen Bücher leisten können, denn der Medienetat wurde radikal von 250.000 auf 22.000 Euro gekürzt. „Ein paar Zeitschriften kann man sich damit noch kaufen, aber mehr auch nicht“, sagt Bibliotheksamtsleiter Engelbrecht Boese.
Einen langfristigen Ausweg aus der Finanzmisere sieht Monika Augustin in einer zentralen Finanzierung. Zwar haben sich die Bibliotheken schon 2001 zum Verbund der öffentlichen Bibliotheken (VÖBB) zusammengeschlossen, um den Bücherverleih zentral zu organisieren, aber über die Mittelvergabe an die einzelnen Zweigstellen entscheidet immer noch jeder Bezirk für sich. „Das führt zu einer großen Ungerechtigkeit, da in Bezirken wie Kreuzberg oder Neukölln, wo hohe Sozialhilfeausgaben anfallen, die Bibliotheken chronisch unterfinanziert sind.“ Bisher haben sich die Stadtteile hartnäckig geweigert, ihre Selbstständigkeit in Sachen Bibliotheken aufzugeben. Am 29. November versucht die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur einen erneuten Vorstoß: Bei einem „Kulturpolitischem Kolloquium“ will sie mit den Bibliotheksämtern über neue Organisationsformen im Bibliothekswesen diskutieren. Kommt Zeit, kommt Fusion.
FRIEDERIKE KRIEGER
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