kommentar : Antisemitismus im Konjunktiv
Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann wollte am deutschen Nationalfeiertag nicht am Rande stehen. Im hessischen Neuhof hat er sich des Themas „Land der Täter“ angenommen. Eigentlich wollte Hohmann die Gottlosigkeit geißeln, die die Nazis mit den Bolschewiki verbindet – schließlich liegt Neuhof im Erzbistum Fulda. Stattdessen landete der deutsche Festvortrag im antisemitischen Sumpfgebiet.
Hohmann stellte fest, dass sich in den Reihen der Bolschewiki eine große Zahl von Juden organisiert hätte. Angesichts der „Millionen Toten“ im Gefolge der Oktoberrevolution „könnte man deshalb mit einer gewissen Berechtigung“ nach der „Täterschaft der Juden fragen“. Typisch für Hohmanns Äußerung sind der Gebrauch des Konjunktivs „könnte“, die Einschränkung „mit einer gewissen Berechtigung“, die Frageform. Erst führt Hohmann das antisemitische Klischee vom jüdischen Charakter der Oktoberrevolution ein, spricht ihm (im Konjunktiv) Berechtigung zu, zitiert als Kronzeugen einen amerikanischen Präsidenten (gleich Vertreter des jüdischen Dollar-Plutokratismus) – um das Ganze anschließend wieder zu relativieren. Denn: Weder seien die Juden noch die Deutschen „ein Volk von Tätern“. Schuld sei die Abwendung von Gott im Fall der Bolschewiki wie dem der Nazis. Erst sind die russischen Juden Täter. Aber um den Preis, dass die Deutschen auch keine Täter sind, dürfen sie wieder unschuldig sein.
Der antisemitische Klartext des von Hohmann indirekt eingeführten Stereotyps spricht von der „Judäa-Kommune“ und vom „jüdischen Bolschewismus“. Suggeriert werden soll, dass die Juden nach dem Sturz des Zaren die Sowjetmacht nutzten, um sich zu neuen Herren des Landes aufzuschwingen und – als treibende Kraft der Geheimpolizei – an den Russen grausam Rache zu nehmen. Sie sind Teil einer jüdischen Weltverschwörung, deren anderer Teil in der Wall Street zu finden ist.
Längst hat die historische Forschung die Formen der Unterdrückung gerade unter der späten Zarenzeit aufgezeigt, die viele jüdische Intellektuelle und Arbeiter dazu führte, ihre Hoffnungen auf die russische Linke zu setzen. Und längst wurde nachgewiesen, wie grausam die Hoffnungen auf die Sowjetmacht enttäuscht wurden. Jüdische Fragen – kommunistische Antworten.
Natürlich ist die Rede Hohmanns mittlerweile aus dem Internet verschwunden. Das Gleiche wird bald für Hohmann als politische Person gelten. In der politischen Öffentlichkeit funktioniert nach wie vor die Tabuisierung antisemitischer Äußerungen. Hier wird – schon mit Rücksicht auf die wachsamen Augen des Auslands – auf den korrekten Sprachgebrauch geachtet und werden personelle Konsequenzen gezogen. Wie weit antisemitische Klischees in der Gesellschaft ihr Unwesen treiben, ist dagegen zweitrangig. Gerade die schwiemelige, sich rückversichernde Ausdrucksweise, deren sich Hohmanns Antisemitismus bedient, zeigt, als wie wenig nützlich sich das Sprachtabu in Sachen Antisemitismus erweist. Wie sonst auch hilft hier nur offener Streit.
CHRISTIAN SEMLER