flug mit obstsalat von RALF SOTSCHECK :
Ich war krank. Vermutlich eine Lebensmittelvergiftung. Damals, als die Gäste kamen, war das Gulasch noch frisch. Aber sie hatten weniger Appetit, als ich angenommen hatte. Es lag nicht an dem ungarischen Eintopf, versicherten sie, aber mehr als drei Portionen könne kein Mensch essen. Sie fragten, ob ich wieder in dem alten irischen Kochbuch für Großfamilien geschmökert hätte, in dem die Mengenangaben in Unzen abgefasst sind, sodass ein einfacher Dreisatz zur unüberwindlichen mathematischen Hürde wird.
Jedenfalls gab es für mich sechs Tage lang Gulasch – mal mit Nudeln, mal mit Kartoffeln und schließlich mit Reis, um keine Eintönigkeit aufkommen zu lassen. Vielleicht war es auch der Obstsalat, der genauso lange reichte wie das Gulasch. Am letzten Tag schmeckte der Früchtecocktail merkwürdig vergoren.
Oder war es gar keine Lebensmittelvergiftung, sondern Furcht? Ich wollte mit meinem Freund Aribert, der das Gulasch schon am dritten Tag verschmähte, die kleinste der Aran-Inseln, Inisheer, vor der irischen Westküste, besuchen. Er wollte mit dem Schiff fahren – anderthalb Stunden auf See, inmitten der tückischen Galway-Bucht, in der selbst die Fische bei Seegang ertrinken, wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahren hatte. Mir reicht schon eine leichte Brise, um meinen Magen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Ich hatte herausgefunden, dass die Insel auch von Kleinflugzeugen angeflogen wird. Sieben Minuten Angst sind besser als anderthalb Stunden Übelkeit, dachte ich mir und buchte zwei Tickets. Während der zwei Stunden Fahrzeit zum Miniatur-Flughafen kamen mir jedoch Bedenken. Worauf hatte ich mich bloß eingelassen? Es muss an der euphorisierenden Wirkung des vergorenen Obstsalats gelegen haben. Das ließ Aribert aber nicht gelten, ebenso wenig wie meine Gulaschvergiftung. „Wer“, so fragte er höhnisch, „hat denn den Flug gebucht, statt die Fähre zu nehmen?“
Am Flughafen wurden wir gewogen, um das Gewicht in der niedlichen Maschine gleichmäßig zu verteilen. Zum Glück unterliegt die Fluggesellschaft der Schweigepflicht. Ich würde den Rasenmäher mit Flügeln möglicherweise voll kotzen, warnte ich das Bodenpersonal und fragte, ob das ein hinreichend schwerwiegender Grund für die Nichtbeförderung sei? Sieben Minuten würde ich schon durchstehen, behauptete die Angestellte optimistisch und schubste mich in das lächerliche Flugobjekt. Mein Einwand, dass ich vergessen hätte, den Geburtstagsbrief für meine Mutter einzuwerfen und sie sehr enttäuscht wäre, wenn ihr Lieblingssohn nicht an sie dächte, wurde verworfen.
Der Pilot war ein beunruhigend junger Mann, vermutlich ein Lehrling. Offenbar kannte er sich mit den Instrumenten noch nicht so gut aus, da er ständig irgendwelche Schalter an- und ausknipste. Wer den Spruch erfunden hat, dass die Zeit wie im Flug vergehe, ist noch nicht auf die Aran-Inseln geflogen. Es waren die längsten sieben Minuten meines Lebens. Ich verfluchte den Obstsalat. Den hatte Aribert von Anfang an abgelehnt, weil er angeblich „keine Unordnung auf dem Teller“ mag. Er nehme gemischte Früchte nur in gebrannter Form zu sich. Da kommt erst gar keine Flugangst auf.