christoph schultheis : Haben wir eigentlich eine Chance?
Die Anzüge sind grau wie die Aussichten. Immerhin sind auch Frauen da. Aber was hat das mit Friedman zu tun?
Womit wollen wir anfangen – mit der Krise oder mit Friedman? Na, jedenfalls ist die Situation relativ schnell klar: Wir befinden uns in luftiger Höhe, zirka 130 Meter über Hamburg. Der Sektempfang im Fernsehturm ist nicht sonderlich gut besucht, aber gediegen, Stimmung und Location sind kühl und cool, die Anzüge grau. Immerhin sind auch Frauen da. Relaxed lehnen da diese beiden Burschen an der Brüstung. Sagt der eine: „Haben wir eigentlich eine Chance?“ – Und wer jetzt glaubt, wir befänden uns mitten in einer Mumm-Sekt-Reklame, hat völlig Recht. Fragt sich nur, wann?
Denn als der TV-Spot im Herbst 2002 erstmals in den Werbepausen auftauchte, antwortete der andere Bursche auf die Frage nach der „Chance“ lachend: „Eigentlich … nicht!“
Klar, wir erinnern uns: Die so genannten fetten Jahre waren vorbei. Das Geld war futsch, die Krise längst da und mit ihr die Entlassungswellen, Insolvenzen, Sparkonzepte – auch in den Medien. Ein Sekt, der „Mumm“ heißt, kam da gerade recht – und mit ihm der Spot, dessen Protagonisten nach Aussage der Rotkäppchen-Mumm GmbH „mit augenzwinkernder Ironie und in jeder Situation eine positive Möglichkeit sehend (…) den Herausfordungen des Alltags“ begegnen. Ende 2002 entschloss sich die Firma sogar zu einer „spektakulären Plakataktion“ namens „Deutschland braucht Mumm“, um das Land „zu einem positiveren, selbstbewussteren Auftreten und optimistischen Denken aufzurufen“. Dann verschwand der Spot wieder von der Bildfläche. Manchmal muss es eben Mumm sein – manchmal offenbar auch nicht.
Kürzlich, wir schreiben das Jahr 2003, war das Mumm-Filmchen wieder da: Fernsehturm, Sektempfang, die beiden Bürschchen – alles wie gehabt. Doch auf die Frage nach der „Chance“ lautet die Antwort plötzlich lachend: „Warum … nicht?!“
Aus dem antizyklischen „Eigentlich … nicht!“ des vergangenen Jahres ist nunmehr eine Option geworden. Und ruft uns nicht tatsächlich auch neue Magazinversuche wie Dummy und Zoo oder die dreiste Tagesspiegel-Rettung usw. ein heiteres „Entdecke die Möglichkeiten“ zu?
Aber jetzt hätten wir fast den Michel Friedman vergessen. Immerhin hatte der Ex-TV-Talkmaster seinerzeit, als sein Prostituierten- und Kokain-Konsum über Nacht zum Skandal wurde, doch auch einen „Chance“-Satz parat: Er bat „um eine zweite Chance“, was, wir erinnern uns, nicht nur von seinen Arbeitgebern zunächst abschlägig beschieden wurde: eigentlich nicht, Herr Friedman! Aber mit der Einladung zur „Sabine Christiansen“-Show und seinem Auftritt im „Grünen Salon“ (21.15 Uhr, n-tv) wird offenbar auch hier nachgebessert. Und seien wir ehrlich und uns einig: warum nicht?!