: Sozialpsychiatrischer Dienst unzurechnungsfähig
Dass der Angeklagte C. im Spätsommer 2003 seine Mutter getötet hat, wird vor dem Landgericht nicht bestritten. Fast ebenso deutlich: Die Tat hätte vermieden werden können – wenn die Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Krisendienstes fachlich geschult wären
Bremen taz ■ Wenig zu tun für die Verteidigung: „Ich habe den Eindruck“, bemerkte Rechtsanwalt Martin Wilke gestern in einer Pause, „dass mein Mandant immer mehr an den Rand des Interesses gerät“. Das mag daran liegen, dass der Ausgang des Verfahrens kaum zweifelhaft erscheint: Der 29-jährige C., der im Spätsommer 2003 seine Mutter durch mehrere Hiebe mit dem Knauf und 17 Stiche mit der Klinge eines Messers tötete, ist vermindert schuldfähig. Eine schwere Psychose attestierte ihm gestern das Fachgutachten von Nahlah Sanneh. Zugleich verdichten sich die Anzeichen dafür, dass es doch einen Verantwortlichen für diese Tat gibt: den sozialpsychiatrischen Dienst.
Das scheint zumindest die Sicht der Nebenklage: „Immer deutlicher“, konstatierte Rechtsanwältin Barbara Kopp, „stellt sich der sozialpsychiatrische Dienst als mitverantwortlich für die Tat heraus“. Kopp vertritt die Zwillingsschwester des Angeklagten. Diese hatte bereits am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht schwere Vorwürfe gegen die Bremer Institution erhoben (taz berichtete). Gestern, am dritten Verhandlungstag, wurden sie bestätigt: Durch Aussagen eines Betreuers, der für die Sozio-Therapie des 29-Jährigen zuständig war, durch Aussagen einer außerplanmäßig in den Zeugenstand gerufenen Mitarbeiterin des Krisendienstes und durch die Fachgutachterin. Einen individuellen Vorwurf könne sie den Leuten vom Dienst nicht machen, so Sanneh, aber ihr Verhalten sei „Zeichen einer kolossalen Überforderung“.
Noch am Vormittag hatte der einstige Betreuer des Angeklagten geschildert, dass er „nicht allumfassend informiert“ worden war über die Krankheit seines Patienten. Er gab vor, nichts von dessen Hang zur Selbst- und Fremdgefährdung gewusst zu haben, für die der Psychotiker noch kurz zuvor stationär behandelt worden war. „Verwunderlich ist das schon“, befand er selbst. Spätestens Ende August 2003 erfuhr er jedoch von den gefährlichen Ausprägungen dieser Schizophrenie. Am Sonntag, dem 30. August nämlich griff C. seine Eltern erstmals tätlich an. Sie konnten sich in eine Polizeiwache retten, die den Sozialpsychiatrischen Dienst hinzuzog. Keine Gefährdung habe der erkannt. „Später habe ich versucht“, so der Zeuge weiter, „mit dem Dienst Kontakt aufzunehmen wegen dieses Vorfalls.“
Erst „nach massivem Drängen“ willigte der dort zuständige Sachbearbeiter in ein Treffen ein. Der Patient weigerte sich zwar, seinen Betreuer zu begleiten. Der zuständige Sachbearbeiter beim Dienst, so die Zeugenaussage weiter, habe dennoch eine Ferndiagnose gestellt – nämlich, dass es sich „um ein Ablösungsproblem“ handele – sprich: einen gewöhnlichen familiären Konflikt. Eine Woche nach diesem Gespräch war die Mutter tot, der Sohn befand sich auf der Flucht vor der Polizei. Bei Cuxhaven wurde er im Watt aufgegriffen. Offenbar wollte er Selbstmord begehen.
Apathisch kauert der 29-Jährige auf der Angeklagtenbank. Während am Richtertisch die Bilder der Bluttat gezeigt und vom Rechtsmediziner kommentiert werden, steht er, schläfrigen Blicks, mitunter unvermittelt auf, sackt dann aber sofort wieder in sich zusammen, von Tranquilizern auf den Sitz gebannt. Keine Regung auch, als die Mitarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes in den Zeugenstand tritt. Nebenklage und Staatsanwalt Uwe Picard hatten das gemeinsam gefordert, denn es gehe darum zu klären „wer hat dazu beigetragen, dass diese Tat geschehen konnte“, so Picard.
Eine Mitarbeiterin des Krisendienst-Teams, das sich nach dem ersten Vorfall mit C. auf der Polizeiwache unterhalten hatte, erwies sich als greifbar. Erschütternd ihre Aussage: Als ihre Profession gab sie „Sozialarbeiterin“ an, psychiatrische Fachkenntnisse habe sie nicht, eine systematische Weiterbildung der Beschäftigten gebe es bei dem Dienst nicht. „Alle Menschen sind anders“, beschrieb sie küchenpsychologisch die Schwierigkeiten, einen Fall zu bewerten. „Er konnte selbst nicht erklären, wieso es zu dem Übergriff auf seine Eltern kam“, gab sie zu Protokoll. Auf die Nachfrage, wieso sie daraus habe schließen können, dass der Übergriff sich nicht wiederhole, repetierte sie lediglich die Einschätzung des Gesprächsverlaufes: „C. war ausgesprochen ruhig.“ Deshalb habe man auch von einer Zwangseinweisung abgesehen. Als sie durch Presseberichte vom Ausgang des Falles erfuhr, war sie selbst es, die sich an ihre Vorgesetzten wandte. „Wir arbeiten alle in einer schwierigen Situation“, habe man ihr dort eröffnet.
Diese Ruhe, sagte später Nahlah Sanneh, sei „keineswegs untypisch“ für eine Psychose. „C. ist wortkarg, weil er krank ist.“ Jemand mit der nötigen psychopathologischen Erfahrung hätte das gemerkt und „ihn nicht nach Hause geschickt“. Bes
Nächster Verhandlungstag: 26.10.