: Tut in Hamburg
Die Totenmaske und andere Schätze aus der Grabkammer Tutanchamuns kommen – als Nachbauten. Ob dann ein „Tut-Hüsteln“ durch Hamburg geht? Ein „Tut-Fieber“ wie 1981, als die echten Sachen zu sehen waren, ist nicht zu erwarten. Eine Erinnerung
Er tauchte eines morgens plötzlich wieder auf, im alten Gewand aus Gold und Schwarz und Lapislazuli. „Tutanchamun kommt...“, so weit konnte ich noch lesen, bevor ich, von der Zeitung angestoßen, durch die Zeiten stürzte, zurück in Hamburgs heißen Herbst anno 1981, als die gesamte Stadt für Wochen im Tut-Fieber taumelte.
Damals zeigte das Museum für Kunst und Gewerbe die Schätze der Grabkammer des Pharaos, und es wurde die erfolgreichste Ausstellung in dessen Geschichte. Sie soll zu jeder Uhrzeit auf eine Weise überfüllt gewesen sein, dass angeblich alle, denen der Ellenbogen nicht als selbstverständliches Fortbewegungsmittel diente, nur die Rücken von Rücksichtslosen zu Gesicht bekommen hätten.
Außerhalb des Museums war es dagegen absolut unmöglich, die Totenmaske nicht zu sehen. Wir Kinder zählten auf der Fahrt durch die Stadt die Plakate, wie wir in den Vorweihnachtstagen die leuchtenden Tannenbäumchen in Gärten und Fenstern summierten. Es war wie vor einer Bundestagswahl, nur dass statt den vielen verschiedenen Gesichtern der Parteien nur eins, nur seins zu sehen war: Tuts liebliches, und doch so ernstes, Tuts sinnliches und doch so strenges Antlitz.
Denn das war es ja: wir liebten ihn, schon seines Namens wegen, der wie ein Zauberspruch klang – der nebenbei die Reste des Zauberhaften heimischer Namen tilgte: Die Klänge von Sven, Jan oder Max vermittelten mir plötzlich ein Gefühl von Schalheit, das ich in ähnlicher Intensität erst wieder erfuhr, als ich Jahre später in einer verzweifelten Lage meines Lebens mich in einem Bierzelt, ohne auch nur eine Mark in der Tasche zu haben, betrinken musste – wir liebten, aber fürchteten ihn auch, weil uns bekannt war, dass ein böser Zauber ihn umgab. Die Legende vom Fluch des Pharaos war über die älteren und notorisch übelwollenden Vettern zu uns durchgesickert, und so wussten wir, dass just am Tag der Entdeckung des Schatzes der Kanarienvogel des Chefarchäologen, Howard Carter, von einer Kobra verschluckt worden war; wussten, dass die Ausgräber kurze Zeit später alle unter mysteriösen Umständen starben, oder Selbstmord begingen; wussten, dass bis heute des Todes ist, wer den Schatz anfasst, ja, wer auch nur den Namen des Pharaos, den wir so liebten, ausspricht. Tutanchamun: Die Eltern, die Alten konnten sagen, was sie wollten. Wir aber waren noch jung, und hatten das ganze Leben vor uns. Der Name kam uns nicht über die fest verschlossenen Lippen, auch wenn er Tag und Nacht in unseren Köpfen klingelte.
Das klingt alles sehr kindisch. Und ist doch bedenkenswert. Denn ähnlich wie im Judentum, wo vom Gott ständig gesprochen wird, man sich aber kein Bild von ihm machen darf, hatten wir lauter Bilder vom Pharao – inklusive Sticker auf der heimischen Schrankwand – durften aber seinen Namen nicht aussprechen. Also kein Bild-, sondern ein Klangverbot.
Ich denke deshalb heute, dass wir als Kinder eine ganz eigene Art von unverwässertem Monotheismus erfahren haben, mit Tut in der Stadt. Nichts duldete er neben sich und sein Name war unaussprechlich. Womit wir die Sache allerdings auf den Kopf gestellt hatten. Denn die reale Geschichte liest sich so: Echnaton, vermutlich der Vater von Tutanchamon, war’s, der im 14. Jahrhundert den ersten monotheistischen Umsturz vollzog, die alten Götterbilder zertrümmerte, Feste abschaffte und nur noch einen, den Gott Aton, Sonnenscheibe zu deutsch, als Objekt der Verehrung duldete. Der junge Tutanchamun schlüpfte dagegen in die Rolle des Reaktionärs. Als er in einem Alter stirbt, mit dem heute die Volljährigkeit beginnt, hat er bereits das Werk des Vaters zertrümmert und die Rückkehr zur alten Ordnung der Götter vollbracht.
Wir kennen diese Geschichte, sie hat sich tausendfach wiederholt und leiert mittlerweile ein wenig. Noch schlimmer ist es aber, wenn sich die Geschichte als Farce wiederholt, wie jetzt in Hamburg. Tutanchamun kommt – als Nachbau in die leer stehende Alte Oberpostdirektion. Das Geraffel anzufassen ist ausdrücklich erlaubt. Schließlich soll der Besucher mal so richtig was erleben. MAXIMILIAN PROBST