piwik no script img

Archiv-Artikel

Kurze werfen Rollen über Bord

Jungs, die Kleinkinder wickeln, während Mädchen Fußball spielen – in der Kölner Kindertagesstätte Eifelstraße ist das nichts Außergewöhnliches. Die Kita fördert „geschlechterdemokratische Erziehung“

Von Stefanie Liebl

Die fünfjährige Saskia hat sich auf ein rotes „Bobby Car“ geschwungen und dreht auf dem hauseigenen Straßenparcours ihre Runden. Ihr Kindergartenkumpel René hilft lieber dabei, die zweijährige Nadine zu wickeln. Die Pädagogen der Katholischen Kindertageseinrichtung (Kita) Eifelstraße „St. Paul“ finden an diesem Verhalten nichts Ungewöhnliches. Eine „geschlechterdemokratische Erziehung“ sensibel zu fördern, das haben sich Silvia Billstein, die Leiterin der Kölner Kita, und ihr Vertreter Peter Nußbaum zur Aufgabe gemacht. Als „gemischtes Doppel“ in der Teamleitung gehen die beiden dabei mit gutem Beispiel voran.

Aber auch für die Eltern soll mit Unterstützung der Kindertagesstätte „geschlechterdemokratisches“ Beisammensein in Familie und Beruf leichter fallen. Mit einem Angebot der Tagesbetreuung, das auch Kinder unter drei Jahren mit einbezieht, will das Team von der Eifelstraße jungen Vätern und Müttern gleichermaßen helfen, Ausbildung, Uni oder Beruf mit der Elternrolle vereinbar zu machen.

Ab morgens um sieben Uhr können die berufstätigen Eltern der einjährigen Stefanie ihr Kind in die Obhut der Kita übergeben. Leicht ist es den beiden anfangs wohl nicht gefallen, „aber sie wissen, dass ihr Kind bei uns in guten Händen ist und zuverlässig betreut wird“, sagt Silvia Billstein. Im Gegensatz zu ihren Eltern hat sich die kleine Stefanie in der Gruppe schnell daran gewöhnt, einen Teil des Tages von den Eltern getrennt zu sein und mit anderen – auch größeren – Kindern den Alltag zu meistern.

Fast im Sinne einer Großfamilie haben die Betreuer die zwei altersgemischten Gruppen in der Kindertagesstätte aufgebaut. Drei Erzieher, darunter eine Krankenschwester, kümmern sich jeweils um 15 Kinder im Alter von vier Monaten bis zu sechs Jahren. „Das ist für die soziale Entwicklung der Kleinen sehr positiv“, meint die Kita-Leiterin. „Aber auch für die größeren Kinder ist die gemischte Betreuung sehr wichtig. Sie lernen Rücksicht zu nehmen und können beispielsweise miterleben und dabei helfen, wenn die Kleinsten gewickelt werden.“

Dabei achten die Betreuer darauf, dass Jungen wie Mädchen an der Betreuung der Jüngeren teilnehmen. „Für die Kinder ist das ganz normal, nur wir Erwachsene stecken eben manchmal noch in unserem Rollenverhalten drin und können gar nicht glauben, wenn kleine Jungs plötzlich Interesse am Wickeln und Füttern oder gar Kochen zeigen und Mädels vielleicht lieber nebenan Fußball und nicht ,Mama‘ spielen“, erklärt Billstein.

Sieben Gruppen sind in der Kita untergebracht, die 2004 für ihr Konzept den mit 7.500 Euro dotierten Mestemacher Kita-Preis gewonnen hat (taz berichtete). Neben den zwei altersgemischten gibt es drei Tagesgruppen, in denen Kinder von drei bis sechs Jahren betreut werden sowie zwei Hortgruppen, die nach der Schule von den Sechs- bis 14-Jährigen besucht werden. 135 Kinder gehen zur Kindertagesstätte in der Eifelstraße. Sie können dort von 7 bis 17 Uhr auch Mittagessen bekommen und schlafen.

Damit sind die personellen Kapazitäten der Kita voll ausgeschöpft, der Bedarf der Eltern jedoch nicht gedeckt. „Jeden Tag kommen mindestens fünf Anfragen um Plätze für unter Dreijährige“, sagt Peter Nußbaum. „Von denen können wir hier insgesamt zehn betreuen, aber die Plätze sind natürlich immer schon lange im Voraus belegt.“ Mit langen Wartezeiten müssen die Eltern rechnen, um ihre Jüngsten in der Eifelstraße unterzubringen, denn der Bedarf an Kita-Plätzen für unter Dreijährige wird immer größer. In Köln warten zurzeit nach Angaben des zuständigen Amtes rund 4.000 Kinder unter drei Jahren auf einen freien Platz. „Ich freue mich, wenn endlich mehr Plätze in der Ganztagsbetreuung geschaffen werden sollen, denn inzwischen gibt es immer mehr Familien, in denen beide Elternteile arbeiten gehen müssen, auch wenn ein Elternteil vielleicht manchmal lieber zu Hause bleiben würde,“ so Billstein.

Zu Hause bleiben konnte Silvia Billstein als erwerbstätige junge Mutter und ausgebildete Sozialpädagogin früher auch nicht. „Ich war froh, dass ich meine Kinder in den 70er Jahren schon hier in der Kita unterbringen konnte, auch wenn es bei mir noch eine besondere Situation war, denn ich selbst habe damals schon als Erzieherin hier gearbeitet.“ Inzwischen sind mehr als 20 Jahre vergangen, die Söhne sind erwachsen und den Erfolg der Kita-Erziehung kann Silvia Billstein heute an ihren eigenen Kindern erkennen: „Das Konzept des Hauses, die ,geschlechterdemokratische Erziehung‘, ist bei meinen Söhnen voll aufgegangen“, so die Leiterin. „Beide haben hier Selbständigkeit und Kochen gelernt, und davon können heute Mütter und Freundinnen doch nur profitieren!“