„Ich war ein mieser Soldat“

Literatur statt Liegestütze: Ein Gespräch mit dem israelischen Schriftsteller-Star Etgar Keret über Paranoia, seine Zeit bei der Armee und die Angst seiner Freundin, ihn nach Deutschland zu begleiten

Interview STEPHANIE GRIMM

taz: Ihre Erzählungen verbinden auf sehr unterhaltsame Art Humor mit Paranoia – ist das Ihre persönliche Weltsicht oder ein Kommentar zur Situation in Israel?

Edgar Keret: Meine Paranoia hat zum einen damit zu tun, dass ich in Israel lebe. Zum anderen hat sie wohl mit meiner persönlichen Geschichte zu tun: Ich bin Sohn von Holocaust-Überlebenden. Dass nichts stabil, sondern alles vorübergehend ist, hat mir die Geschichte meiner Eltern vermittelt. Doch eigentlich sehe ich diese Fragilität überall, auch in westlichen Gesellschaften. Die Grundlagen, auf denen wir unser Leben organisieren, kommen mir einfach seltsam und zerbrechlich vor – und so beliebig. Ich habe zum Beispiel beim Taxifahren oft das Gefühl, dass der Fahrer jederzeit behaupten kann, ich hätte ihn nicht bezahlt – auch wenn ich das zwei Minuten vorher getan habe.

Und dieses Gefühl ist die Triebfeder Ihres Schreibens?

Mein Schreibprozess wird auf jeden Fall extrem von Gefühlen angetrieben. Oft weiß ich gar nicht, wie mir geschieht. Ein bisschen ist Schreiben für mich wie mit offenen Augen träumen: Bei mir funktioniert die Verbindung zwischen verschiedenen Bewusstseinsebenen oft nicht. Ich glaube, dass das Schreiben mir hilft, diese Verbindung wieder herzustellen – auch wenn ich die Dinge immer noch nicht unbedingt verstehe, wenn ich sie aufgeschrieben habe. Mein Ausgangspunkt für eine Geschichte ist meist visuell: ein Bild, kein Plot. Ich sehe etwas oder denke mir ein Bild aus, und von da aus entsteht dann die Geschichte.

Das klingt, als wären Sie übers Comiclesen zum Schreiben gekommen?

Nein. Ich war zwar als Teenager ein totaler Comicfan. Zum Schreiben bin ich aber durch die Armee gekommen. Ich war ein mieser Soldat, dauernd wurde ich bestraft und versetzt. Doch dann bin ich in einem Job gelandet, den niemand machen wollte, weil die Schichten extrem lang waren und man die ganze Zeit allein im Keller saß. Aber dort hatte ich wenigstens keinen Ärger. Ein bisschen war das wie im Knast, wo die Leute anfangen, wie besessen Liegestütze zu machen oder mit Ratten zu reden. Ich habe schon immer viel mit mir selbst geredet, aber eines Tages habe ich angefangen, Dinge aufzuschreiben. Damals war mir noch nicht klar, ob das, was ich da aufschreibe, nun Geschichten sind.

Die Armee spielt auch in Ihren neueren Kurzgeschichten eine Rolle. Sitzt Ihnen diese Zeit immer noch im Nacken?

Um ehrlich zu sein: Für mich gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Armee und dem zivilen Leben. Im Prinzip wirken da dieselben Kräfte, in der Armee wird man nur brutaler damit konfrontiert. Dein Chef und dein Kommandeur, beide können dich davon abhalten, das zu tun, was du eigentlich willst. Ich kann eine Geschichte über etwas schreiben, was mir vorgestern passiert ist, und das Ganze in der Armee stattfinden lassen. Bei Kurzgeschichten ist das praktische Metapher, weil man die Handlung sowieso konzentrieren muss.

Wollen Sie auch einmal etwas Längeres schreiben? Ihr Kurzroman „Pizzeria Kamikaze“ ist 78 Seiten lang und damit Ihre längste veröffentlichte Geschichte.

Um ehrlich zu sein, arbeite ich schon ganz lange an etwas Größerem. Erzählung und Struktur sind aber so komplex, dass ich damit meine Schwierigkeiten habe. Die Geschichte spielt in einer Zukunft, in der Israel nicht mehr existiert. Die Charaktere und vieles andere steht, aber das Ganze gerät immer wieder außer Kontrolle.

Wieso existiert Israel in der Geschichte nicht mehr?

Für die Geschichte spielt das keine große Rolle, aber der Grund ist ein atomarer Angriff. Die Angst vor Auslöschung ist in Israel ziemlich real und fundamental. Das liegt wohl daran, dass es so viele Feinde hat. Dazu kommt, dass Israel bis zum Zeitpunkt seiner Gründung keine Vergangenheit hatte.Vermutlich ist auch deshalb die Vorstellung von Zukunft oft sehr vage. Das damit zusammenhängende Spannungsverhältnis zwischen israelischer und jüdischer Identität ist ein Thema, das mich sehr interessiert.

Inwiefern?

Die jüdische Tradition ist kosmopolitisch und antinationalistisch. Es ging immer darum, zwei Identitäten zu haben, zum Beispiel eben als Deutscher und als Jude. Auch im Religiösen gibt es diese Bereitschaft zur Reibung. Den Talmud erarbeitet man sich beispielsweise durch kritisches Hinterfragen. Das öffentliche Leben in Israel dagegen ist ziemlich antiintellektuell. Man kann in einer öffentlichen Diskussion jemand beleidigen, indem man ihn Professor nennt. Das Land wird beherrscht von Generälen und Landarbeitern – und von der alles beherrschenden Frage der nationalen Identität. Die jüdische Perspektive ist dabei immer die einer Minderheit. Die israelische Identität dagegen ist kollektiv. In meinem Geschichten versuche ich immer, Israel aus einer jüdischen Perspektive zu betrachten

Vor ein paar Jahren haben Sie in einem Interview erzählt, dass Ihre Freundin wegen der deutschen Vergangenheit nicht zu Besuch nach Deutschland kommen will. Jetzt unterrichten Sie für einen Monat als Samuel-Fischer-Gastprofessor an der FU. Kommt Ihre Freundin mit?

Sie kommt mich für eine Woche besuchen. Ich habe in dem Zusammenhang von meiner Freundin erzählt, dass in Israel gerade Menschen aus Familien, die nichts mit dem Holocaust zu tun hatten, auf eine abstrakte Art mehr Angst vor Deutschland haben als die Angehörigen von Holocaust-Überlebenden. Meine Eltern beispielsweise haben deutsche Freunde und sind gerade zur Kur in Deutschland. Ich glaube, für sie ist es leichter, die konkrete menschliche Erfahrung zu sehen und nicht nur das Symbol. Seit meine Freundin doch mal hier war, hat sie ihre Meinung aber auch relativiert.

Heute, 18 Uhr, Begrüßungsveranstaltung mit Edgar Keret, Lesung und Gespräch mit Gert Mattenklott, danach Publikumsdiskussion. Großer Seminarraum im Fachbereich Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Hüttenweg 9, Dahlem