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Archiv-Artikel

Was haben die genommen?

Die Droge aus Kunst, Design und Hype: Damien Hirst versteigert ein ganzes Restaurant

London, Montagabend. Der Auktionssaal bei Sotheby’s war so kalt, als gälte es schon von vornherein, hochkochende Emotionen herunterzukühlen. Versteigert wurde das gesamte Inventar von Damien Hirsts schickem, aber kurzlebigem Restaurant „Pharmacy“.

Zugleich war dies die größte jemals durch einen lebenden Künstler anberaumte Versteigerung. Vor allem jedoch war der Abend ein Event: Er sah eher nach Filmpremiere als nach seriösem Kunsthandel aus, und auch die zur Versteigerung stehenden Gegenstände waren für das 1744 gegründete Traditionshaus an der New Bond Street eher ungewöhnlich: Stühle und Aschenbecher in Tablettenform, Medizinschränke voller Tablettenschachteln, Chirurgenbesteck, selbst die DNA des Künstlers als riesiges Modell. Ist es Kunst? Oder ist es Hype? Niemals zuvor war diese Frage so unsinnig.

Wer vom „Pharmacy“-Eröffnungsabend Silvester 1997 behauptete, er sei der beste Abend der 90er-Jahre gewesen, für den durfte diese Auktion einer der aufregendsten Abende des neuen Jahrtausends gewesen sein. Was Oliver Barker, der an diesem Abend die Auktion leitete, in knappem Auktionatoren-Englisch an Spannung zu produzieren wusste und was die Bieter an rasanten Gefechten quer durch den Raum mit einem winzigen Nicken vorantrieben oder in einem resignierenden Schulterzucken abbrachen, schrieb Auktionsgeschichte.

11 Millionen Pfund wurden statt der erwarteten 3 Millionen erzielt, manches der 168 Lose, wie ein paar Stühle, erzielten das 200fache des angesetzten Preises. Applaus gab es beim Rekordhalter des Abends, dem Los 56: dem Medizinschrank „The Fragile Truth“, der für 1,1 Millionen Pfund versteigert wurde.

Nicht umsonst fragte der Evening Standard am Dienstagabend: Was haben die bloß genommen? Die Droge aus Kunst, Design und Hype, Damien Hirst hat sie einmal mehr angerührt und den Süchtigen vorgesetzt – sicher auch zu einem perfekten Zeitpunkt, ist doch der Niedergang der Brit Art-spätestens durch die großvolumige Trennung von Großsammler Charles Saatchi von vielen seiner ehemaligen Schützlinge vollzogen. Die Preise für Hirst-Kunst hatten sich zuletzt jedes halbe Jahr verdoppelt, und so ist die „Pharmacy“-Auktion ein Rekordabschluss. Vielleicht werden also demnächst ein paar texanische Milliardäre auf dem abgeschabten Holzfußboden der verblichenen Speiseapotheke squaredancen. Und was der unauffällige Bieter aus der letzten Reihe, der mit einem lauten „Biete!“ von seinem Stuhl aufsprang, um ein Set gestempeltes Chirurgenbesteck zu ersteigern, damit vorhat, möchte man vielleicht gar nicht so genau wissen.

Ich jedenfalls werde mich auf die Suche nach dem Streichholzbriefchen machen – das Einzige, was ich nach einem der teuersten Abende meines bisherigen Lebens mitgehen ließ. Und das, fünf Jahre und zwei Umzüge später, doch noch irgendwo sein muss. Ich habe damals viel Geld bei Apotheker Hirst gelassen. Das hole ich mir jetzt zurück. Zum Ersten, zum Zweiten … MAGDALENA KRÖNER