Wer keine Wahl mehr hat

Immigranten ohne Papiere arbeiten in einer Zone der Unsichtbarkeit. Im Film werden sie daher oft zur Projektionsfläche für das Wunschdenken des Regisseurs. Der österreichische Spielfilm „Struggle“ wählt demgegenüber einen fast dokumentarischen Weg. Aber macht das die Sache besser?

Der Imperativ der Arbeit durchdringt jeden Lebensbereich: Essen, Wohnen, Schlafen, Weitermachen

VON DIETMAR KAMMERER

Die Darstellung von Arbeit im Kino kennt, Georg Seeßlen hat es an dieser Stelle schon ausgeführt, eigentlich nur zwei Erzählungen: den Kampf des Proletariats gegen die Maschinisierung oder die bürgerlichen Neurosen der Karriere. Der erste Fall ist ein Stellvertreterkrieg. Da lehnt sich einer gegen die Ausbeutung auf, die er als Entfremdung erfährt, und spricht dabei im Namen einer ganzen Klasse von Geknechteten. Einer für alle. Die zweite Variante kehrt dieses Verhältnis um. Wer es mit der Karriere zu etwas bringen will, wird sich tunlichst eine Einzelkämpfermentalität zulegen, und wenn es ihn seine Seele, seine Moral, seine besten Freunde kostet. In beiden Fällen (lässt man die kapitalistischen Produktionsverhältnisse einmal unangetastet) winkt als Ausweg nur die Möglichkeit eines selbstbestimmten Arbeitens, das weder Maschinen noch Mitbewerber kennt. Folgerichtig hat das seltene Glück der Arbeit im Kino gerne in Gestalt des Handwerkers seinen Auftritt, als eine Existenz, die noch gegen die schlimmsten Stürme des Schicksals gewappnet ist. Wie etwa in dem belgisch-französischen Film „Der Sohn“ der Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne: Darin ist der Schreinermeister bereit, den Mörder seines Sohnes als Lehrling zu akzeptieren, nachdem er ihm beigebracht hat, die verschiedenen Holzarten zu unterscheiden, indem er mit seinen Fingern sanft über deren Maserung fährt.

Statt diese Alternativen aber auf ihre Utopie hin zu überschreiten, kann man sie auch auf ihre Voraussetzungen hin untersuchen, sozusagen einen Schritt zurückgehen (etwa über eine Nationengrenze) und sich fragen: Was, wenn das Problem der Arbeit weder in der Konkurrenz liegt noch in der fortschreitenden Technisierung, sondern schlicht darin, dass man ohnehin keine Wahl hat? Wenn jeder elende Job besser ist als keiner, weil er die einzige prekäre Chance bietet, bleiben zu dürfen?

Die Situation von illegalisierten Immigranten gebietet es, in der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, möglichst unterhalb der Schwelle der Sichtbarkeit zu bleiben. Sie haben weder Gesicht noch Stimme, es gibt kaum ein gesichertes kollektives Bilderwissen von ihrem Arbeitsalltag oder Lebensumständen. Kein Wunder, dass die wenigen Porträts von Schwarzarbeitern ohne Aufenthaltsrecht im Kino durchsetzt sind von Phantasmen, in denen sich Exotica, Sozialkitsch und (westliche) Wunschvorstellungen uneingeschränkter Brüderschaft unter den Verdammten dieser Erde versammeln. Daran leiden, bei allem Unterschied, sowohl der respektable „Bread and Roses“ von Ken Loach als auch die Sozialschnulze „Voltaire ist schuld“ von Abdellatif Kechiche.

Der österreichische Film – wer Seidl und Haneke kennt, ahnt es bereits – ist vor solchen Solidaritäts- oder Klassenkampf-Sentimentalitäten durchaus gefeit. In Ruth Maders Film „Struggle“ bleibt die junge Polin Eva (Aleksandra Justa), die als Erntehelferin zum Erdbeerpflücken nach Österreich gekommen ist, am Ende der Saison im Land, um für sich und ihre Tochter ein besseres Leben zu erkämpfen. Sie wird im Laufe des Films verschiedene Arbeiten akzeptieren, ohne im Mindesten dagegen aufzubegehren. Sie kämpft allein, und sie wird alleine bleiben, selbst in einer Notbeziehung, denn ihr Gegner heißt nicht die Arbeit, sondern das Leben selbst.

Ihre Stationen führen sie durch die üblichen Niedriglohnsektoren, in denen ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet werden: Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie, Reinigungsdienste. Meist arbeitet sie an den Rändern der Luxusgesellschaft. Wenn sie den Swimmingpool einer reichen Familie putzt, bringt ihr der Sohn des Hauses eine Mahlzeit ins Freie nebst der Erlaubnis, jetzt eine Pause zu machen. Die pompöse Villa wird sie nicht von innen zu sehen bekommen. Sie poliert Glasnippes, der anschließend wieder in Pappkartons verschwindet, und nimmt in einer Fleischfabrik Truthähne für Festessen aus. Ihre Tochter sieht sie erst wieder, wenn sie abends todmüde neben ihr ins Bett fällt.

„Struggle“ führt deutlich vor Augen, wie die Imperative der Arbeit, zur Sicherung einer Existenz betrieben, deren Unmöglichkeit dadurch nur weiter verlängert wird, sofort alle Lebensverhältnisse durchdringen: Essen, Wohnen, Schlafen, Weitermachen. Auf der Busfahrt, die Eva und die anderen Erntehelferinnen ins Land bringt, erklärt der Arbeitsvermittler wie ein gut gelaunter Reiseleiter die Konditionen des Aufenthalts: 25 Cent pro Kilo Erdbeeren, 200 Kilo Ertrag werden am Ende eines Tages erwartet, macht 50 Euro für elf Stunden reine Knochenarbeit. Untergebracht werden die Gastarbeiterinnen in firmeneigenen Containern, schon dadurch kann man sie besser unter Kontrolle halten, bevor sie am nächsten Tag per Lastwagen wieder aufs Feld gekarrt werden.

Nachdem Eva sich vor der Rückfahrt heimlich abgesetzt hat, um es auf eigene Faust zu versuchen, werden die ohnehin eng gesetzten Koordinaten ihrer Entscheidungsfreiheit noch weiter eingeschränkt. Jeden Morgen steht sie mit den anderen Immigranten am Straßenrand und wartet darauf, dass ein Auto anhält. Manchmal ist es die Polizei. In der prekären Existenz ist jede Routine nur scheinbar.

Der Film nimmt sich für seine Schilderung viel Zeit. Die Regisseurin betont, wie wichtig ihr ein genauer Blick war auf die Figuren und die Zwänge, denen sie unterliegen: „Ich wollte eine detaillierte, präzise und authentische Beschreibung vom Wesen der Arbeit liefern – ihre Gesichter, Hände, Abläufe, Räume und Dauer.“ In elliptisch erzählten Sequenzen nähert sich der Film einem dokumentarischen Stil. Minutenlang zeigt die Kamera, wie die gebückten Pflücker auf dem Erdbeerfeld ungerührt ihr Handwerk verrichten, egal ob in strömendem Regen oder bei brütender Hitze. Die Aufnahmen in der Truthahnfabrik, in der dem Federvieh in Fließbandarbeit mechanisch der Hals abgeschnitten wird, bevor sie aufgeschlitzt, ausgenommen, zerhackt und in Kisten geschmissen werden, wirken wie ein Propagandastreifen für Vegetarismus. In der Verarbeitungskette vom Tier zur Tiefkühlverpackung sitzt jeder Handgriff perfekt. Die Einstellungen (Kamera: Bernhard Keller) sind streng kadriert und verweigern ihren Figuren jeden Spielraum. Bevorzugt werden Figuren in Isolation voneinander gezeigt, Kommunikation zwischen ihnen findet kaum statt.

Doch birgt der Minimalismus des Stils auch Gefahren. Derart reduzierte Sachlichkeit gilt zur Zeit gemeinhin als Markenzeichen des aktuellen österreichischen Kinos. Auch die Filme von Michael Haneke, Ulrich Seidl („Jesus, du weißt“), Barbara Albert (Co-Autorin für „Struggle“) oder Jessica Hausner („Lovely Rita“) erzählen wenig und zeigen viel, versetzen ihre Figuren in kalkuliert kärglichen Inszenierungen in die Malaise als Dauerzustand. Die Rezeption im Feuilleton lobt dann gerne den „Realismus“ dieser Produktionen, doch hat ihnen der Filmkritiker Bert Rebhandl nicht zu Unrecht unlängst einen „Überfluss an Kritik und Kitsch bei Mangel an Realitätssinn“ vorgeworfen. Denn in der Konzentration aufs Nackt-Menschliche unter Verweigerung jeglichen Kommentars droht die Strenge der Darstellung umzuschlagen in Gewalt an den Figuren selbst. Aus ihnen werden Chiffren oder, wie Rebhandl schreibt, „Abstraktionen, die von Gesellschaft sprechen müssen, ohne selbst zu Wort zu kommen“.

Auch „Struggle“ kann sich nicht entscheiden zwischen eindringlicher gesellschaftskritischer Analyse und Passionsgeschichte einer allein erziehenden Mutter mit Tochter im fremden Land. „Ich hab eine Sehnsucht nach dem Tod“, sind die ersten Wörter in diesem weitgehend dialogfreien Film. Damit ist die Tonlage angestimmt. Ins Existenzielle gehoben, verwischt der struggle alle realen gesellschaftlichen, politischen, geschlechtlichen Unterschiede.

Die Ärztin, die stumm die Anfeindungen ihrer Patientinnen hinnehmen muss, der geschiedene Wiener Immobilienmakler (Gottfried Breitfuß), der seine seelische Einsamkeit durch extreme sexuelle Vorlieben aufzuwiegen sucht: Alle haben ihr Päcklein zu tragen, und wer ist schuld daran? Das Leben und die Sehnsucht. Das rutscht gelegentlich ins Bizarre ab, so wenn der Immobilienmann nach einem missglückten S/M-Selbstversuch nach Hause fährt und aus dem Autoradio plärrt Earth, Wind & Fire: „Every man has a place / In his heart, there's a space / And the world can't erase / his fantasies.“

Am Ende landen Eva und ihre Tochter beim Makler, tröstet der Arbeitskampf Lebenskampf. Was auf der Strecke bleibt, ist die politische Analyse der realen Situation der Arbeit von illegalisierten Immigranten (des Ost-West-Gefälles, der Geschlechterverhältnisse usw.). Und nicht zuletzt auch der Arbeit am Film selbst. Bei Godard kann man nachlesen, dass beides voneinander nicht zu trennen ist: „Man müsste wissen, was das ist: Arbeitsverhältnisse. Und danach könnte man sich fragen: Wo steckt die Arbeit in einem Film?“ Es mag, aus dem Zusammenhang gerissen, etwas überspitzt oder von mir aus: voreingenommen klingen, aber ich kann es nicht anders als beklemmend finden, wenn Ruth Mader im Interview fröhlich bekennt, was sie aus der Zusammenarbeit mit der polnischen Schauspielerin Aleksandra Justa gelernt hat: „Ich denke, ich werde auch in Zukunft mit Leuten aus Osteuropa zusammenarbeiten, es war ein sehr konzentriertes Arbeiten, das ich so geschätzt habe.“ Warum wohl strengt sich eine junge Schauspielerin aus einem osteuropäischen Land so sehr an, wenn sie erstmals in einer westeuropäischen Produktion mitspielen darf?