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Archiv-Artikel

Abzüge der Wirklichkeit

Die Fotoausstellung „Stagings made in Namibia“ im Künstlerhaus Bethanien unterläuft koloniale Muster der Darstellung Afrikas. Stattdessen haben Einheimische die Kamera in die Hand genommen

VON FRANKA NAGEL

Zebras in der Trockensavanne und mit Holzketten behangene, halb nackte Einheimische. Katastrophenbilder von Flüchtlingszügen und Hungernden, auf denen die afrikanische Bevölkerung zu Ikonen des Leids stilisiert wird: Diese beiden im Westen dominierenden Fotodarstellungen vom Afrika südlich der Sahara werden immer wieder von westlichen, aber auch von afrikanischen Intellektuellen kritisiert.

Offensichtlich ist, dass die beiden Bildbereiche ihre Wurzeln in der Kolonialfotografie haben. Bis weit in die Siebzigerjahre waren die in Europa verbreiteten rassifizierenden und ethnografischen Fotografien von Afrikanern ein subtiles Mittel zur Rechtfertigung grausamer Kolonialherrschaften. Analog zu den heutigen Darstellungssträngen zeigen damalige Bilder weiße Kolonialherren inmitten von Naturidyll, Jagdtrophäen und einheimischen Dienern, ethnografische Darstellungen der dort lebenden „Wilden“ oder Bilder von Elend und Hunger.

Genau wie damals stammen auch heute Fotografien, die durch die westlichen Medien kursieren, zumeist von europäischen Fotografen.

Die Frage, wie Bildproduktion in Afrika sich dieser über hundertjährigen Prägung entziehen kann, ist so wichtig wie brisant. Auf der Suche nach „postkolonialen“, egalitären Formen der Darstellung verteilten die Kulturwissenschaftlerin Evelyn Annuß und die Performancekünstlerin Barbara Loreck in der ehemaligen deutschen Kolonie Namibia 124 Einwegkameras an dort wohnende Menschen. Für ihr vom Hauptstadtkulturfonds gefördertes Rechercheprojekt „Made in Namibia“ baten sie Einheimische, Bilder ihrer Lebenswirklichkeit zu inszenieren und zu produzieren. 200 der dabei entstandenen Fotografien sind nun in der Ausstellung „Stagings made in Namibia“ in der Kapelle des Künstlerhauses Bethanien zu sehen.

Das Abgebildete erschließt sich den Besuchern so direkt, dass sie meinen könnten, die irgendwie unspektakulären Bilder bereits zu kennen: Menschen vor Wellblechhütten erscheinen neben westlich aussehenden, selbstbewusst posierenden Teenagern, schlecht belichtete Gruppenfotos sind neben schief ins Bild gesetzten Einzelporträts ausgestellt. Es ist klar, dass die Fotografien dabei zufällig entstandene, gerade erlebte Szenen darstellen – die meisten der Fotografen sind Amateure, einige haben zum ersten Mal eine Kamera in der Hand gehalten. So zeigen die Bilder vor allem, was namibische Amateurfotografen für fotografierenswert halten und wie Menschen mit einer Kamera umgehen, wenn der Umgang noch ungewohnt ist. Die im Katalog immer wieder angeführte Vermutung, auf tiefgründige Kommentare zu Problemen afrikanisch-deutscher Bildproduktion zu stoßen, ist in den meisten Fällen so unbegründet wie überflüssig. Denn es gelingt der Ausstellung tatsächlich, das Dargestellte einem eurozentristischen, unbewusst „kolonialen“ Blick zu entziehen. Zudem provoziert die Fülle der Bilder eine assoziative Betrachtungsweise, in der Wertungen und Interpretationen relativ werden. Kinder, Alte, Mittelalte und Teenager – bei all den Abbildungen wird schnell klar, was die „Objekte“ eigentlich sind: Menschen eben. Die Umgebungen erscheinen mal sauber, mal schmutzig, ärmlich oder wohlhabend. Sich eine fest gefasste Meinung darüber zu bilden, wie Namibia wohl aussehen mag, wird so unmöglich. Selbst Darstellungen „exotischer Wilder“ reihen sich in die Menge der Bilder ein. Es bleibt jedoch unklar, ob beispielsweise die Fotografie einer barbusigen Himba ernst gemeint ist oder als ironische Anspielung auf unsere Klischeevorstellungen von Namibia.

Auch auf einem weiteren Foto ist eine barbusige Frau zu sehen: ein weißes Pin-up-Girl auf einem Poster, das zwei grinsende Namibier ausgestreckt vor sich in der Hand halten. Dieses Bild kann als kluge Spiegelung der ganzen Diskussion um die voyeuristischen Vorführung des „Anderen“ gelesen werden. Denn das geht, wie die Fotografie zeigt, ziemlich einfach.

Künstlerhaus Bethanien/Kapelle Mariannenplatz 2, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa./So. 12–19 Uhr bis 19. April. Katalog: 300 Seiten, 200 Farbabbildungen, Beiträge von Evelyn Annuß und Gesine Krüger, dt.-engl., 22 €, b_books