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Archiv-Artikel

Staroperation lohnt in jedem Alter

Der graue Star ist weltweit die häufigste Ursache für eine Erblindung. Vor allem im fortgeschrittenen Alter kommt es zu der Trübung der Augenlinse. Ärzte raten auch hochbetagten Patienten, sich operieren zu lassen. Der Eingriff ist längst Routine

„Das Ergebnis einer derartigen Operation schafft Lebensqualität“

VON PETER-MICHAEL PETSCH

Oma ist die Beste; Enkelkinder wissen das. Doch was ist, wenn Oma, obwohl sie sonst noch recht fit und organisch gesund ist, zunehmend über Gang-Unsicherheit und müde Augen klagt? Wie beispielsweise die 88-jährige Hedwig Rupp. Klar sie ist nicht mehr die Jüngste, aber als auch Großdrucke aus der Bibliothek und die Vitaminkapseln aus der Apotheke nichts fruchteten, stand für die Familie fest: Oma braucht wohl eine neue Brille.

Doch weit gefehlt: Die Diagnose, die der Augenarzt stellte, war erst einmal niederschmetternd. „Grauer Star“, Restsehvermögen knappe 25 Prozent, Tendenz stark abnehmend. Damit war klar: Folgt hier kein operativer Eingriff, dann ist Oma Hedwig bald blind wie ein Maulwurf.

„Ich würde einem Patienten selbst dann zu einer Kataraktoperation raten, wenn er nur noch wenige Monate zu leben hätte. Denn das Ergebnis einer derartigen Operation schafft wirklich Lebensqualität“, so Professor Egon Weidle, ärztlicher Direktor der Augenklinik des Katharinenhospitals in Stuttgart.

Der graue Star oder Katarakt ist weltweit die häufigste Erblindungsursache. Dies betrifft vor allem die Entwicklungsländer, da dort wegen der schlechten medizinischen Infrastruktur operative Eingriffe kaum möglich sind; zumindest nicht für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Das gilt jedoch nicht für Industrieländer. Hier ist diese Operation tägliche Routine.

In Deutschland werden jährlich mehr als 150.000 Menschen am grauen Star operiert. Damit gehört diese Operation zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffen und ist damit auch einer der sichersten.

Der graue Star kann angeboren sein. Zu fast 90 Prozent entwickelt er sich jedoch infolge des körperlichen Alterungsprozesses. Die Linse, die zwischen der vorderen Augenkammer und dem Glaskörper liegt, wird zunehmend trüber. Bei den Erkrankten erscheint dies als eine graue oder milchige Färbung des einst tiefschwarzen Augenmittelpunkts. Je weiter die Trübung fortschreitet, desto geringer ist das Restsehvermögen des Betroffenen.

„Eine wirksame Behandlung des grauen Stars ist nur durch die operative Entfernung der getrübten Linse möglich“, erläutert Augenspezialist Weidle das Prozedere. Die dazu verwandte Technik ist schon sehr lange bekannt. Denn bereits im Mittelalter fürchteten die Menschen die milchig trübe Verfärbung der Linse, die ihnen das Augenlicht raubte und sie oft zu hilflosen Almosenempfängern machte.

Das war die Chance für die damals umherreisenden „Starstecher“, die von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zogen. Der Starstecher drang mit einer spitzen Nadel seitlich der Regenbogenhaut ein und schob die Spitze, nachdem er sie, um sie leichtgängig zu machen, durch den Mund gezogen hatte, in Richtung Pupille vor. Dort versuchte er, den „Star“ zu fassen und die Linse aus ihrer Fassung auf den Augenhintergrund hinunterzudrücken. Gelang der Eingriff, war es möglich, einen Blinden wie von Zauberhand innerhalb weniger Minuten wieder sehend zu machen, und dem Starstecher war neue Kundschaft gewiss. Verstarb der Patient an den Folgen der „Operation“, die meist aus einer schweren Wundinfektion bestanden, war der Starstecher schon längst über alle Berge.

Das Prinzip der Linsenentfernung ist bis in unsere Zeit geblieben. Heute wird das Auge – bei örtlicher Betäubung – mittels eines kleinen Schnitts am Hornhautrand geöffnet. Die Linse wird dann zerteilt und zerkleinert, sodass die kleinen Bruchstücke anschließend durch eine Hohlnadel abgesaugt werden können. Ist die trübe Linse entfernt, wird eine in ihrer Stärke individuell an das Auge angepasste Kunstlinse in die hintere Augenkapsel eingesetzt. Mit dieser Methode kann zugleich auch eine bestehende Fehlsichtigkeit korrigiert werden.

Auf Drängen der Familie ließ sich auch Oma Hedwig auf das Wagnis der Kataraktoperation ein. „Ich war zwar aufgeregt, doch gespürt habe ich von dem Eingriff, der kaum 30 Minuten dauerte, eigentlich überhaupt nichts“, sagt die 88-Jährige. Nach dem ambulanten Eingriff durfte sie sofort wieder nach Hause. Seit dem Tag nach der Operation liest Oma Hedwig wieder ihre Zeitung, und selbst das klein Gedruckte entgeht ihrem Blick nicht mehr. „Ich möchte, dass mein anderes Auge jetzt auch schnellstens operiert wird“, erklärt Hedwig Rupp.

„Diese Erfahrung machen wir immer wieder. Erst zögern die älteren Leute, und dann, wenn sie die Erfahrung machen, wie gut das Ergebnis ist, kann es ihnen gar nicht schnell genug gehen“, lacht Professor Weidle. Und so liegt Oma Hedwig vier Wochen später wieder auf dem OP-Tisch.