: Klofrauenleben
Memoiren schreiben zwischen Damen- und Herrenklo
von ALEXANDRA FRANK
Als Tatjana Glässer noch ein kleines Mädchen war, hatte es ihr die Oma schon prophezeit. „Dicke, du bist abgebrüht genug. Du wirst noch aus Scheiße Geld machen.“ Und so ist es gekommen.
Samstagabend, 23 Uhr, Hamburg. Auf der Reeperbahn drängeln sich die Menschen. Aufgestylte Kids und Kegelclubs, Touristen und Hanseaten. Männer, die ihren Junggesellenabschied feiern, Frauen, die hoffen, daran zu verdienen. Sexgeschäfte und Frittenschmieden, Theater und Clubs, Kneipen und Kaschemmen. Wie jedes Wochenende.
An den Türen der einschlägigen Etablissements und Diskotheken stehen Anlocker. „Heute Abend schon was vor? Hereinspaziert!“ Wer ihnen folgt, trifft auf Türsteher, die eher den Eindruck machen, als wollten sie um jeden Preis verhindern, dass sich ein Gast hinein verirrt. Schiebt man sich dennoch an den bulligen Ticketabreißern vorbei, gelangt man in die Hinterzimmer der Vergnügungsmeile. Schummrige Räume, mehrere Bars, laute Bässe, erste vereinzelte Gäste, die in Grüppchen herumstehen. Partyleben.
Unten im Keller hat Taddy, wie Tatjana Glässer von Stammgästen und Personal der Diskothek genannt wird, währenddessen Stellung bezogen. Kaugummis und Lollis säuberlich auf einem Regal aufgereiht, Kaffee für den Eigenbedarf gekocht. Sie hat auch schon eine erste Runde gedreht – ob das Putzteam den Sanitärbereich ordentlich gesäubert hat. „Einmal den Gang runter, rechts Damen, links Herren. Alles im grünen Bereich.“ Noch sind kaum Gäste da. Zeit also, zum Stift zu greifen.
Denn Taddy schreibt. Ihr eigenes Buch – Arbeitstitel: „Die goldene Brille, Memoiren aus der Pissrinne“. Davon, wie man aus Scheiße Geld macht. Einen Verleger hat sie nicht, aber das kommt schon noch.
Die Idee zum Buch wurde im Suff geboren. „Das war so ein typischer Saufabend im Urlaub“, erinnert sich Taddy. Was mir da alles passiert, darüber könnte ich Bücher füllen, hatte sie einem Freund erzählt. „Und der hat gesagt: ‚Dann tu’s doch.‘ “
Seitdem führt sie Buch. Schreibt auf, was sie erlebt. Von „Schlampen, die ihre Surfbretter an die Kacheln kleben und ihre gebrauchten Teebeutel an die Klinken hängen“, bis zu „Schneekönigen, die sich auf dem Klo ein Iglu bauen wollen“, und „Luden, denen beim Kotzen das Gebiss ins Klo fällt“.
Tatjanas Welt, das sind Müll, Drogen, Besoffene. 14 Stufen führen in ihr Reich. 14 Stufen, die Tanzfläche, Bar, Stimmgewirr und dröhnende Musik von ihr trennen. Lediglich Musikfragmente, Bässe, vereinzelte Schreie dringen zu ihr herunter. Taddy braucht Ruhe. Ihr gegenüber hängt eine Musikbox. Aus. Kein Ton dringt heraus. Taddy muss schließlich hören, was im Keller vor sich geht. Sie ist nicht nur Putzfrau, sie ist auch Aufpasserin.
Einiges hat sie schon hier unten erlebt. „Es werden Spiegel und Kacheln zerschlagen, mit den Türen geballert, dass sie aus den Angeln fallen. Die Kloschüsseln gesprengt, aber gleich so, dass mein ganzer Keller unter Wasser steht und ich die Gummistiefel anziehen muss“, schreibt sie in ihrem Buch.
Vieles ließe sich vermeiden. Hat sie gerade etwas gehört? Taddy stürmt den dreizehn Meter langen Gang entlang, der von ihrem Vorraum zu den Toiletten führt. „Ihr vögelt hier doch nicht etwa?“ Nein, das Pärchen, das vor fünf Minuten in den Toiletten verschwunden war, stylt sich lediglich vor dem Spiegel.
Weitere Gäste trudeln ein. Laufen vorbei an der schwarz gestrichenen Bar, hinter der Tatjana den Großteil ihrer Schicht verbringt. Sie sitzt auf einem Barhocker. Das macht sie größer. Denn den meisten Gästen geht sie nur bis zur Schulter. Auf dem Tresen steht ein Plastikteller in Form eines Efeublatts. Ein paar Cents hat sie selbst hineingelegt. „Anlocker.“
Der Besitzer der Diskothek bezahlt ihr ein Grundgehalt. Vom Trinkgeld und den spärlichen Einnahmen durch den Verkauf von Süßigkeiten allein kann sie nicht leben. Viermal die Woche ist sie hier, von elf Uhr abends bis fünf Uhr früh. Morgens kommt sie meistens nur mit dreißig Euro Trinkgeld raus, und „die Leute behandeln dich, als ob du ihnen wo hingeschissen hättest“. Lederjacken und Minikleider, Goldketten- und Netzhemdträger, Frauen mit engen weißen T-Shirts, schwarzen BHs und tiefen Ausschnitten laufen an ihr vorbei. Parfümschwaden durchziehen die Luft. Von Zeit zu Zeit landen ein paar Cents auf Taddys Teller.
Doch die meisten Gäste gehen weiter. Schauen zur Wand. Wer nicht bezahlen will, meidet Blickkontakt. Einige Stammgäste stellen sich zu ihr an den Tresen. „Muss ich zahlen, Taddy?“ Tatjana hebt ihre dünnen Augenbrauen nach oben, mustert ihr Gegenüber: „Wäre nett.“ – „Bin nett.“ Und auf dem Teller klirrt es. Zum Dank gibt es Lollis. Die kommen bei ihren Gästen gut an, kosten Tatjana nicht mehr als einen Cent und bringen die Leute dazu, auch beim nächsten Mal wieder zu bezahlen.
Viele kehren wieder, grüßen artig, plaudern mit Tatjana. „Was sagst du zu meiner neuen Frisur?“ Erneut hebt Taddy die weit auseinander liegenden Augenbrauen, legt den Kopf ein wenig in den Nacken, fährt sich durch das kurze braune Haar. „Siehst auch nicht hübscher aus als vorher.“
Der junge Mann nimmt es ihr nicht übel. Tatjana ist für ihren Spott bekannt. Als sie so alt war wie die meisten ihrer Gäste, stand sie auch schon hier. „Ich habe praktisch meine ganze Jugend hier verbracht.“ Fast fünfzehn Jahre. Heute ist Taddy 33. Das überrascht. Die meisten würden sie für älter halten. Vielleicht weil sie dick ist, vielleicht weil man sich unter einer Klofrau eher ältere Damen mit Dauerwelle und Kittel vorstellt. Und vielleicht weil man diese Vorstellung unbewusst mit sich trägt, auch wenn man eine Klofrau in Jeans, Turnschuhen und Stoppelhaaren vor sich sieht.
„Früher war hier mal so ’ne Oma angestellt“, erzählt Taddy. „Aber die konnte sich nicht durchsetzen. Hier wird ’ne Poweralte gebraucht.“ Taddy hat alles gesehen. Schlägereien, Dealereien, Schweinereien. „Ich habe auch schon öfter was auf die Fresse bekommen“, grinst sie, „aber ich kann auch austeilen.“ Trotz ihrer Körperfülle sei sie „arschgelenkig“. Das Beste am Job? Dass eigentlich alles nur Routine ist. Pure Bequemlichkeit. Andere Jobs wären anstrengender und würden weniger Geld einbringen. So steht es auch in ihrem Buch: „Ich wollte diesen Job eigentlich nur eine Zeit lang durchziehen. Habe dann aber feststellen müssen, dass ich aus dem Laden etwas machen kann. So ist es mir tatsächlich gelungen, mir mit viel Nerven und Kraft dort unten in meinem Keller etwas aufzubauen.“
Circa ein- bis zweimal die Stunde verlässt Taddy ihren Platz hinter dem Tresen und reinigt die Klos. Holt Binden aus den Toiletten, fegt Klopapier zusammen, zieht ab, wenn ihre Besucher das versäumt haben. Danach kehrt sie an ihren Tresen zurück und zupft ihre Finger aus den Gummihandschuhen. Sie hat kleine Hände. Keine Risse, keine Hornhaut. Puppenhände mit halblangen Fingernägeln. Hände, die in ruhigen Momenten einen Stift halten. Hände, die in unruhigen Momenten einen Knüppel unterm Tresen hervorholen. Hände, die über den Knüppel schreiben.
Der Knüppel ist einer der Protagonisten in den rund hundertfünfzig Kurzgeschichten, die Taddy bislang geschrieben hat. Er ist ein Baseballschläger und eine Sie, heißt Elfriede und ist „die beste Freundin, die man sich vorstellen kann.“ Wie auch „Alfred“, eine Bratpfanne, die unter Tatjanas Tresen ruht, wird Elfriede dem Leser nicht wie ein Gegenstand, sondern wie eine Gefährtin vorgestellt: „Sie wurde vor zehn Jahren, als es plötzlich mal wieder zu einer Schlägerei kam, von mir entdeckt. Da guckte sie mich an, und ohne viele Worte zu sagen, griffen wir zwei blitzschnell ein, um ein paar völlig besoffene Arschlöcher auseinander zu reißen.“
Wegen ihres imposanten Erscheinens hat sich Elfriede den Platz im Kiezabenteuer redlich verdient. „Als ich merkte, wie viel Respekt sie vor Elfriede hatten, war ich völlig überrascht. Damit hatte ich nicht gerechnet. So nahmen die betrunkenen Penner ihre Beine in die Hand und rannten die Treppe hoch.“ Und die Gangsterposse endet siegreich. „Wir konnten uns vor Lachen kaum halten.“ Der Beginn einer großen Freundschaft: „Jetzt erst schoss mir der Gedanke in den Kopf, dass ich sie hier gut gebrauchen könnte. So fragte ich sie, ob sie nicht Lust hätte, für mich zu jobben. Als sie zustimmte, wurde sie sofort als meine Partnerin eingestellt.“
An diesem Abend wird Elfriede wohl nicht mehr zum Einsatz kommen und aggressiven Gästen „den Arsch so versohlen, das die Hämorrhoiden in sämtlichen Farben leuchten“. Tatjana schnippst ein Papierkügelchen in den zwei Meter entfernten Mülleimer. Treffer. Ein Blick auf die Uhr. Halb fünf. Sie fängt an, gemächlich die Kaugummipackungen vom Regal zu räumen. Wirft einen Blick auf die Münzen, die sich im Laufe der Nacht angehäuft haben. Viel wird es nicht sein.
Nicht genug, um davon reich zu werden. Auch deshalb schreibt sie ihre Memoiren. Und „damit die Leute wissen, wie anstrengend es ist, als Klofrau zu arbeiten“, wie es im Vorwort heißt. Wenn ihr Buch der große Kassenschlager wird – „dann“, so sagt sie, „kaufe ich den Laden und mache hier, was ich will“.
ALEXANDRA FRANK, Jahrgang 1976, lebt als freie Autorin in Hamburg