: Eichel reicht die Hand zum Bunde
… und die Union ist zum Einschlagen bereit
aus Berlin HANNES KOCH
Die Mitte ist ein Magnet. Bundespolitisch zieht gerade alles dahin, wo die Meinungen am engsten beieinander liegen. Der Bundesrat hat gestern zwar den wichtigsten Gesetzen von Rot-Grün die Zustimmung verweigert. Doch hinter der Ablehnung steckt sehr viel Bereitschaft zum Kompromiss. Der beherrschende Gestus in der Länderkammer war nicht die Verweigerung, sondern die Ankündigung einer ganz großen Zusammenarbeit zwischen SPD und Grünen einerseits, Union und FDP andererseits. Damit ist mehr oder weniger klar: Die Steuern werden gesenkt, und die Arbeitslosenhilfe wird abgeschafft.
Die Union lieferte nicht die in den vergangenen Wochen heraufbeschworene Generalabrechnung mit der Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Im Gegenteil, die Stimmen der konservativen Ministerpräsidenten klangen ziemlich moderat. An einzelnen Punkten scharf, in der großen Linie eher versöhnlich – so gab sich selbst CDU-Ministerpräsident Roland Koch aus Hessen. Etwa zur Umorganisation der Bundesanstalt für Arbeit meldete Koch zwar „grundlegende Bedenken“ an, gleichzeitig wies er aber auf „Ansätze zu Kompromissen“ hin, die „ein vernünftiges Ganzes“ ergeben könnten. Bis in die Wortwahl ähnlich antwortete die Bundesregierung. Kanzler Schröder hoffte auf „vernünftige Lösungen“ und räumte ein, dass er dazu „Kompromisse machen“ müsse. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hoffte, dass die Union „die ausgestreckte Hand ergreifen“ werde.
Den Ton hatte zuvor Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) gesetzt. Zum Reformbedarf in Deutschland zitierte er Goethe: „Es ist nicht genug, zu wollen, man muss es auch tun.“ Um freilich die prekäre Lage der Union in diesem Herbst zu beschreiben, hätte sich ein anderer Goethe-Satz angeboten: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Koch und Co. haben an einem entscheidenden Punkt kaum eine Chance – auch wenn sie gestern die gesamte rot-grüne Finanzpolitik einschließlich des Plans, die Steuerreform von 2005 auf 2004 vorzuziehen, in den Vermittlungsausschuss überwiesen. Die Union kann den Bürgern nicht erklären, warum sie eine Steuersenkung ablehnen will. Es ist deshalb so gut wie sicher, dass der Eingangssteuersatz für Geringverdiener ab 1. Januar nur noch 15 Prozent beträgt und der Spitzensteuersatz 42 Prozent. Die Regierung hofft, dass die Leute das Geld, das ihnen der Staat nicht mehr entzieht, flugs in die Geschäfte tragen. Dass die Konjunktur tatsächlich anzieht, bezweifeln dagegen manche Ökonomen – die Summe sei zu niedrig. Doch auf die Rationalität kommt es nun nicht mehr an, das Symbol ist entscheidend. So fasste denn Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) folgerichtig zusammen: „Wir wollen dieses Vorziehen der Steuerreform ermöglichen.“
Die zweite große Botschaft, die der Bundesrat gestern vermittelte, ist diese: Nach einem Jahr Arbeitslosengeld gibt es nur noch Unterstützung auf dem niedrigen Niveau der Sozialhilfe. Die bisher höhere Arbeitslosenhilfe wird abgeschafft. Hunderttausende können sich außerdem darauf einstellen, dass sie zu miesen Löhnen irgendwelche Drecksjobs annehmen müssen, weil ihnen sonst die staatliche Unterstützung weiter zusammengestrichen wird.
Welchen Preis aber beide Seiten für diese Einigung zahlen müssen, werden erst die kommenden Wochen zeigen. Das Kanzleramt arbeitet im kleinsten Kreis an einem Szenario, wie man auf die Forderungen der Union reagieren könnte. Beim Thema „Finanzen und Steuern“ wird die Union Rot-Grün zwingen, die Ausfälle infolge der Steuerreform zu einem geringeren Teil durch neue Schulden zu bezahlen.
Wenn es deshalb zu weiteren Einschnitten bei der Bundesanstalt für Arbeit kommt, wie sie Stoiber fordert, dürfte das den ökonomischen Vorteil der Nachfragebelebung weiter schmälern. Zur Verhandlungsmasse gehören auch die dicken Subventionsbrocken Pendlerpauschale und Eigenheimzulage. Die Union lehnt die von Eichel geplante starke Kürzung ab, weshalb sich der Finanzminister auf die Suche nach anderen Geldquellen machen muss. Und im Hintergrund lauert immer CDU-Fraktionsvize Friedrch Merz mit seinem allumfassenden Konzept für ein einfaches Steuersystem. Die Einführung des niedrigen dreistufigen Steuersatzes wird freilich einstweilen daran scheitern, dass auch die Union nicht weiß, woher sie so schnell so viel Geld nehmen soll.
Bei den Gesetzesänderungen zum Arbeitsmarkt wird die Union versuchen, zusätzliche Deregulierung durchzusetzen. Sie fordert, den Kündigungsschutz weiter zu lockern und Arbeitslosen noch niedrigere Löhne zuzumuten. Insgesamt haben sich die christdemokratischen Länder auf die Taktik festgelegt, alles mit allem zu verrechnen – Steuer gegen Arbeitsmarkt und so weiter. Das erhöht die Durchschlagskraft der Bundestagsopposition. Entsprechend gereizt reagierte gestern Kanzler Schröder: „Ich glaube nicht, dass das Erfolg haben kann und darf.“